Sylvia Plath: Die Bibel der Träume

Sylvia Plath Die Bibel der Träume

Die Landschaft meiner Kindheit war nicht Land, sondern das Ende vom Land – die kalten, salzigen, rollenden Hügel des Atlantik. Manchmal denke ich, daß mein Bild vom Meer das Klarste ist, was ich besitze. Ich trage es in mir, verbannt, wie ich bin, wie die purpurnen weißumrandeten Glückssteine oder die blauschaligen Muscheln, deren Inneres regenbogenfarben schimmert wie die Fingernägel von Engeln; und in einer Welle der Erinnerung werden die Farben tiefer und glänzend, die frühe Welt holt Atem.

Seitdem ich Die Glasglocke von Sylvia Plath (geb. 1932) gelesen habe, bin ich ein großer Fan der Autorin, die vor allem erst nach ihrem Suizid im Jahr 1963 Bekanntheit und Ruhm erlangte. Plath zählt mit zu den genialsten Schriftstellerinnen unserer Zeit und ihr einziger Roman Die Glasglocke zu meinen absoluten Lieblingsbüchern. Nun habe ich auch Plaths Die Bibel der Träume gelesen, ein Erzählungsband mit Geschichten, die, wie auch schon Die Glasglocke, an die Biografie der Schriftstellerin erinnern. Der Band vereint zwölf Kurzgeschichten, in denen die Amerikanerin sich vorrangig mit dem Tod und dem Verlust der Fantasie, vor dem sie sich zeitlebens fürchtete, auseinandersetzt. »Das Wunschkästchen« beispielsweise beschreibt, wie ein Mann seiner Frau jeden Morgen von seinen wilden und bunten Träumen der vergangenen Nacht berichtet. Die Frau selbst kann nichts zu diesen Gedanken beitragen, denn sie träumt nicht und entdeckt zunehmend, dass ihre Fantasie beschränkt ist. Sie versucht gegen diese Fantasielosigkeit anzukämpfen, sieht allerdings letzten Endes nur eine Lösung: den Freitod.

Ihre Augen waren geschlossen, eine leere Pillenschachtel und ein umgefallener Wasserkrug lagen auf dem Teppich neben ihr. Auf ihrem friedlichen Gesicht lag ein feines heimliches Lächeln des Triumphes, als ob sie endlich in einem fernen Land […] Walzer tanzte.

Nur durch den Tod kann sie sich von der quälenden Fantasielosigkeit und allem Druck befreien. Beim Lesen der Geschichte kommt es mir vor, als sei Sylvia Plath selbst die Protagonistin, denn auch sie konnte sich im letzten Moment nur noch durch den Suizid von allen Zwängen und Depressionen losmachen. Die Angst vor dem Fantasieverlust zieht sich durch den Großteil ihrer Geschichten: das Sterben der Träume in »Johnny Panic und die Bibel der Träume«, der kreative Tätowierer in »Der Fünfzehn-Dollar-Adler«, dem durch seine schneeweißhäutige Frau eine Grenze seiner Kunst gesetzt wird und auch das Mädchen in »Ocean 1212-W«, dessen Fantasie durch die Geburt eines Geschwisterkindes geraubt wird, ordnen sich diesem Sujet unter. Auch setzt Plath sich in ihren Erzählungen mit dem eigenen Schreiben, der damaligen Scheinheiligkeit der amerikanischen, christlichen Kirche und schließlich einer unerfüllten Liebe zu einem Mann namens Richard auseinander.

Es ist sehr kalt, und während des ganzen Wegs zurück denke ich: Richard, du lebst in diesem Moment: Du lebst jetzt. Du bist in meinen Eingeweiden und ich handele, weil du am Leben bist. Und inzwischen schläfst du wahrscheinlich erschöpft und glücklich in den Armen irgendeiner genialen Hure […].

Sylvia Plath Die Bibel der Träume

Obwohl die gewählten Themen eher düster und deprimierend sind, bereitete mir vor allem Plaths sprachliches Können großes Vergnügen beim Lesen. Selten habe ich eine solch starke und intensive Metaphorik in einem Werk vorgefunden wie bei Sylvia Plath — so voll von Melancholie, dass es kaum auszuhalten war. In jeder einzelnen Geschichte steckt so viel Autobiographisches, dass ich beim Lesen das Gefühl hatte, neben Plath zu sitzen und mit ihr über ihre tiefsten Gefühle persönlich zu reden. Ein wirklich empfehlenswerter und aufreibender Erzählungsband.

Meine Ausgabe ist aus dem Fischer Taschenbuch Verlag (1990) und mittlerweile vergriffen. Ich selbst habe das Buch in einem Antiquariat gekauft. Eine hübsche Neuauflage hat die Frankfurter Verlagsanstalt im Jahr   2012 herausgegeben.

Sylvia Plath Die Bibel der TräumeSylvia Plath

Die Bibel der Träume

Frankfurter Verlagsanstalt

ISBN: 978-3-627-10020-9

Neuauflage 2012 erschienen

Kategorie Blog, Rezensionen
Autor

Aufgewachsen im schönen Brandenburg lernte ich schon früh die ländliche Einöde lieben und verteufeln zugleich. Heute kehre ich immer wieder gern heim, wohne allerdings lieber in urbanen Räumen. Lesen geht ja zum Glück überall und bietet Ausflüge in diverse Welten. Hier schreibe ich über meine Lektüren.

2 Kommentare

  1. klingts interessant, kenne den Namen, werd ich wohl auch mal lesen bwz kuckn ob ichs in der Bibo finde. Schöne Fotos hast Du dazu gemacht 😉

    • Dankeschön. Die Fotos sind auf meiner Reise durch Thailand entstanden. Bei solch einer Kulisse können die Bilder ja nur schön werden. 😉

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