Czollek, Fehr, Prosser (Hgg.): Lyrik von Jetzt 3

Die Lyrik hat es heutzutage nicht leicht in Deutschland. Die junge, deutschsprachige vielleicht noch schwerer. Umso wichtiger scheint es, dass sich junge Lyriker*innen gegenseitig befruchten und unterstützen. Das Projekt babelsprech hat in den vergangenen zwei Jahren erfolgreich ein Netzwerk Schreibender aus Deutschland, der Schweiz und Österreich geschaffen. Lyrik von Jetzt 3 (Wallstein Verlag) ist nun das literarisch-fulminante Ergebnis dieser Zusammenarbeit.

Lyrik von Jetzt 3

Vor zwei Jahren, im Herbst 2013, trafen sich 29 Dichter*innen aus der Schweiz, Österreich und Deutschland in Lana (Südtirol). Alle sind nach 1980 geboren, alle diskutierten über zeitgenössische, junge Lyrik – wie eine sinnvolle Vernetzung zwischen den drei Ländern entstehen kann und welche Chancen es gibt, Lyrik einem breiten Publikum wieder schmackhaft zu machen. Aus diesem Treffen junger Lyriker*innen entstand das Projekt babelsprech unter der Kuration von Max Czollek (Deutschland), Michael Fehr (Schweiz) und Robert Prosser (Österreich). Zwei Jahre lang trafen sich junge Dichter*innen zum (digitalen) Austausch, zu Lesungen und auf einer Konferenz im April 2015 in Bern. Lyrik von Jetzt 3 versammelt 84 Autor*innen und ihre lyrischen Werke, die ganz unterschiedlich anmuten und doch die Brücken zwischen drei verschiedenen Ländern schlagen. Die Anthologie steht, schon rein äußerlich, in der Tradition der ersten beiden Bände Lyrik von Jetzt 1 und Lyrik von Jetzt 2, beide herausgegeben von Björn Kuhligk und Jan Wagner. Dennoch grenzt sich der dritte Band vor allem durch seinen trinationalen Bezug von seinen Vorgängern leicht ab.

Lyrik von Jetzt 3

Als Konglomerat neuester, deutschsprachiger Lyrik hält Lyrik von Jetzt 3 thematisch als auch grafisch ganz unterschiedliche Beiträge bereit. Auf gestalterischer Seite ist hier Die Bahn eines Fisches von Sandra Burkhardt hervorzuheben, die sie nicht nur schriftlich darstellt, sondern zudem auch visualisiert. Auch Barbara Arnolds Aus den Tagen 10802-10960 fällt optisch ins Auge. Das Gedicht erstreckt sich in Form eines Tagebuchs über mehrere Seiten, wobei nicht alle Tage mit Ereignissen gefüllt sind. Andreas Bülhoff lässt dagegen seine Texte, plugs, in gleichmäßigen hohlen Vierecken über die Seite laufen und zwingt die Leserschaft zum „Arbeiten“ mit dem Buch. Ein Hin- und Herdrehen bleibt da nicht aus und macht durchaus Spaß. Abwechslung bieten auch Dagmara Kraus’ sowie Mónika Koncz’ Textcollagen, liebe- und gehaltvoll zusammengesetzt aus Papierschnipseln und Zeitungsfetzen.

Lyrik von Jetzt 3

Sandra Burkhardt: Die Bahn eines Fisches

Lyrik von Jetzt 3

Barbara Arnold: Aus den Tagen 10802-10960

Lyrik von Jetzt 3

Andreas Bülhoff: plugs

Lyrik von Jetzt 3

Mónika Koncz: März. Leiden und Zagreb, 4. August

Thematisch glänzen die Beiträge ebenfalls auf ganz unterschiedliche Weisen. Jan Skudlarek beispielsweise widmet sich einem sehr klassischen Sujet, der Liebe und ihrem Scheitern. Ohne abschließendes Satzzeichen lässt uns Die paar Tage damals zurück mit einem Schluss, der lapidar klingt, aber dennoch nachhallt in den Ohren:

dem Aspekt der Archivierung. Seitdem Du weg bist / hat sich allerhand angestaut. Ich habe das WLAN / nach Dir benannt, ich hoffe das ist okay

In eine ähnlich melancholische Richtung gehen die wunderbar stimmig formulierten Texte von Eva Seck und Elisabeth Steinkellner. Auch Christoph Szalays plus einundzwanzig grad und schlägt einen nachdenklichen Ton an. Dabei referiert der Lyriker immer wieder kritisch auf aktuelle Ereignisse in der Medienlandschaft:

plus dreiundzwanzig grad und unter dir zieht deutschland vorbei immer noch golden immer noch glaenzend / immer noch sommermaerchen so gehen die gauchos, die gauchos die gehen so und so gehn die deutschn, die deutschn / die gehen so also nachdenken ueber rollen und richtungen alles was du wegbiegung nennst flussverlauf vaterlands

Szalays Beiträge zeigen, dass junge Lyrik neben aller Ästhetik auch kritisches Nachdenken über Zeitgeschehen zulässt. So bildet sich in Lyrik von Jetzt 3 ein Porträt der Generation jener, die nach 1980 geboren wurden, ab. 84 Stimmen aus drei Ländern, die etwas zu sagen haben und dies auch noch poetisch verpacken können: Das ist nicht nur schön und bereichernd für die gesamte deutschsprachige Lyriklandschaft, sondern bereitet auch den Weg für die nächste Generation junger Lyriker*innen.

Lyrik von Jetzt 3 beweist, dass es sich durchaus lohnt, für die junge, deutschsprachige Lyrik über Grenzen zu gehen. Die Anthologie verspricht eine kurzweilige, abwechslungsreiche Lektüre und hält mit Gewissheit für jede*n Leser*in ein neues Lieblingsgedicht bereit. Hier kommt einer meiner Lieblingstexte, ein Gedicht von Marina Skalova:

was bleibt

der bach, die erde
die hölzernen wände

das weiss, zwischen den worten

 

Lyrik von Jetzt 3Max Czollek, Michael Fehr, Robert Prosser (Hgg.)

Lyrik von Jetzt 3 / babelsprech

Wallstein Verlag

ISBN: 978-3-8353-1739-0

im Oktober 2015 erschienen

Kategorie Blog, Indiebooks, Lyrisches, Rezensionen
Autor

Aufgewachsen im schönen Brandenburg lernte ich schon früh die ländliche Einöde lieben und verteufeln zugleich. Heute kehre ich immer wieder gern heim, wohne allerdings lieber in urbanen Räumen. Lesen geht ja zum Glück überall und bietet Ausflüge in diverse Welten. Hier schreibe ich über meine Lektüren.

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