Kirstin Breitenfellner: Bevor die Welt unterging

Wie war das eigentlich, damals in der BRD Jugendliche zu sein, so kurz vor dem Mauerfall? Eigentlich recht unbekümmert, oder? In ihrem Roman Bevor die Welt unterging (Picus) erzählt Kirstin Breitenfellner von einer westdeutschen Jugend der „No Future“-Generation in den 1980er Jahren. Gleichzeitig zeichnet sie das Porträt einer BRD der Vorwendezeit.

Kirstin Breitenfellner: Bevor die Welt unterging

Bevor die Welt unterging erzählt von den 1980er Jahren der BRD, dem Anfang der Ära Kohl. Die Protagonistin Judith erlebt zu dieser Zeit ihre Jugend. Wohlbehütet wächst sie als Einzelkind in Biblis, einem kleinen Ort in Hessen, auf. Zu Beginn des Buches ist sie eine unbeschwerte Heranwachsende. Dies ändert sich, als ihre beste Freundin Birte sie im Stich lässt. Von diesem Moment an wandelt sich Judiths Leben schlagartig. Sie muss sich neue Freund*innen suchen, sie schließt sich der Grünen Bewegung an und rebelliert von nun an stark gegen ihren Vater, der stolz ist auf seinen Job in einer Chemiefabrik.

Ihre Eltern betonen immer wieder, dass Judith es gut habe. Sie wachse in einer Epoche von beispiellosem Frieden auf. Doch auch Judiths Generation hat Probleme. Der Kalte Krieg findet seinen Höhepunkt in den 80ern, die AIDS-Welle schlägt um sich und bedroht die freie Liebe, und in Tschernobyl kommt es zum verheerenden Reaktorunfall. Judith und ihre Freund*innen sind mittendrin, machen sich Sorgen und versuchen, im Kleinen die Welt ein Stück besser zu machen. Sie ernähren sich vegetarisch, sie gehen auf Demos, führen reflektierte Diskussionen. Ganz nebenbei erlebt Judith aber auch eine typische Jugend mit Liebeskummer, der Abgrenzung von den Eltern und großer Unsicherheit in vielerlei Hinsicht.

Nachts lag sie neuerdings wach im Bett und dachte darüber nach, wie es war, wenn man tot war. Wie konnte man denken, dass es einen einmal nicht mehr geben würde?

Breitenfellners Roman gibt einen interessanten Einblick, wie eine westdeutsche Jugend unter dem „ewigen Kanzler“ Helmut Kohl ausgesehen haben könnte. Ich als Kind ostdeutscher Eltern habe beim Lesen sehr viel über die BRD in den 1980er Jahren erfahren, vor allem über die Grüne Bewegung. Viele von Judiths Problemen lassen sich in die heutige Zeit übertragen. Das Thema der Atomenergie ist immer noch hochaktuell, der anhaltende Klimawandel bringt viele Menschen dazu, ihren Umgang mit unserer Umwelt zu ändern und auch das Bild der Generation „No Future“ mit der Angst vor Arbeitslosigkeit ist für mich als Geisteswissenschaftlerin sehr präsent.

Thematisch ist Bevor die Welt unterging also höchst interessant und immer noch sehr aktuell, was nur zeigt, dass sich die Geschichte zu Teilen wiederholt. Literarisch konnte mich der Roman allerdings oft nicht überzeugen. Im ersten Teil stören mich vor allem die vielen Vorausdeutungen, die bedeutungsschwanger in die Zukunft weisen:

Es leuchtete Judith ein, dass man seine Jugend genießen musste. Sie sollte sich nach Kräften darum bemühen, aber ihre Jugend sollte ihr gehörig auf den Magen schlagen.

Ich persönlich mag es lieber, selbst zu lesen, was passiert und mich dann an den Anfang der Geschichte zu erinnern und zu denken: „Ach ja, krass, und zu Beginn war sie noch so unbeschwert …“ Immer schon alle Rückschlüsse auf dem Silbertablett serviert zu bekommen, finde ich unnötig. Den selbst denkenden Leser*innen wird hier zu wenig zugetraut. Ähnliches passiert auch, wenn Judith Tagebuch schreibt. In einem Eintrag erklärt sie sich selbst, warum sie Tagebuch schreibt. Nämlich damit sie nicht vergesse, „wie man als Kind und Jugendlicher denkt“. Ich habe als Jugendliche auch Tagebuch geschrieben und wahrscheinlich war ich wesentlich unreflektierter als Judith, aber dieser Eintrag kommt mir doch sehr konstruiert vor, um noch einmal zu verstärken, wie sehr sich Judith um ihre Umwelt Sorgen macht. Dass sie dann am Ende bei aller Reflexion und allem Engagement den Mauerfall fast nicht mitbekommt, kommt mir dann zu alledem etwas unplausibel vor.

Nichtsdestotrotz würde ich Bevor die Welt unterging all denjenigen empfehlen, die sich für die BRD während der Ära Kohl interessieren und noch einmal in die rebellische Phase einer Jugend abtauchen wollen. Thematisch ist Breitenfellners Roman durchaus gelungen, literarisch hätte man noch ein wenig daran feilen können.

Kirstin Breitenfellner: Bevor die Welt untergingKirstin Breitenfellner

Bevor die Welt unterging

Picus

240 Seiten | 22,– Euro

Erschienen am 28. August 2017

Kategorie Blog, Indiebooks, Rezensionen
Autor

Aufgewachsen im schönen Brandenburg lernte ich schon früh die ländliche Einöde lieben und verteufeln zugleich. Heute kehre ich immer wieder gern heim, wohne allerdings lieber in urbanen Räumen. Lesen geht ja zum Glück überall und bietet Ausflüge in diverse Welten. Hier schreibe ich über meine Lektüren.

6 Kommentare

  1. Kirstin Breitenfellner

    Liebe Juliane!

    Danke für die freundliche und auch kritische Rezension. Ist schon lustig, dass Leser oft Dinge für konstruiert oder unplausibel halten, die das echte Leben schrieb 🙂
    Vorausdeutungen nicht zu mögen ist das gute Recht von Lesenden und Geschmackssache.
    In meinem Roman sind sie aber das erzählerische Grundprinzip und nicht etwas, was man noch „wegfeilen“ könnte. Es geht ja um Weltuntergangsprophezeiungen, die es heute (wieder) en masse gibt, was mich immer an die 80er Jahre erinnert, und Zukunftserwartungen, die nicht eintreffen oder ganz anders, als man erwartet hat. Und nicht nur um eine Jugendgeschichte in einer bestimmten historischen Zeit.

    Herzliche Grüße aus Wien, Kirstin Breitenfellner

    • Liebe Kirstin Breitenfellner,
      ich freue mich sehr über Ihren Kommentar und verstehe Ihren Standpunkt voll und ganz. Generell bin ich wohl einfach keine große Freundin von so vielen Vorausdeutungen in einem literarischen Werk, auch wenn ich verstehe, warum Sie diese verwendet haben. Dennoch fand ich Ihr Buch, wie bereits in der Rezension erwähnt, sehr kurzweilig und thematisch äußerst interessant.
      Herzliche Grüße aus (derzeit) Zürich, Juliane

  2. Liebe Juliane. Vom Thema her klingt das Buch sehr spannend. Ich finde das immer toll, wenn man über die Literatur etwas von einem Leben in einer Zeit oder einer Gegend erfährt, in die man sich selber sehr viel weniger hineindenken könnte. Deine Kritik an den Voraus- und Ausdeutungen kann ich aber sehr gut verstehen, das stört mich beim Lesen auch sehr.
    Liebe Grüße, Milena

    • Liebe Milena,
      da hast du recht. Ich habe mir jetzt auch vorgenommen, wieder öfter literarische Bücher zu lesen, von denen ich etwas über Geschichte oder bestimmte Länder erfahren kann. Vielleicht sollte ich dafür auch mal wieder den ein oder anderen Klassiker zur Hand nehmen. Die habe ich in den letzten Jahren ganz schön vernachlässigt. Aber gut, das ist ein anderes Thema! 😉
      Liebe Grüße
      Juliane

      • Stimmt, das ist bei mir auch so – es kommen ja meist auch einfach zu viele spannende neue Bücher raus=). Wobei es da ja auch immer wieder Bücher gibt mit denen man eben so einen Einblick bekommt („Nachts ist es leise in Teheran“ war zum Beispiel für mich so eines, aber in gewisser Weise auch „Niemand ist bei den Kälbern“- kein anderes Land zwar, aber doch ein ganz anderes Leben als ich es kenne). Viele liebe Grüße!

        • Oh ja, bei Bazyars Buch ging es mir ebenso und auch bei Katharina Winklers „Blauschmuck“. Herbings Debüt steht auch noch auf meiner Leseliste. Na gut, du hast Recht, man kann sich auch mit zeitgenössischer Literatur ganz gut in andere Länder und geschichtliche Zusammenhänge flüchten. 😉

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