Simon Strauß: Sieben Nächte

Simon Strauß schreibt in Sieben Nächte (Blumenbar) von seinem Protagonisten S., der in sieben Nächten den sieben Todsünden nachspürt und seine Eindrücke am Morgen notiert. Wir lesen, was S. notiert und tauchen damit in die Gedankenwelt eines Endzwanzigers auf dem Sprung ins Erwachsenenalter ein. Ein essayistisch anmutendes Buch, das zweifelt und hadert, sich selbst gleichzeitig aber auch überaus gut darin gefällt.

Simon Strauß: Sieben Nächte

Das hier schreibe ich aus Angst. Aus Angst vor dem fließenden Übergang. Davor, gar nicht gemerkt zu haben, erwachsen geworden zu sein. Ohne Initiation, ohne Reifeprüfung einfach durchgerutscht bis zur Dreißig.

Die Anfangssätze des schmalen Büchleins geben die Schlagrichtung vor, aus der hier  gesprochen wird. Von einem Plot kann man nicht wirklich reden, es ist eher ein freies, mal essayistisches, mal lyrisch-poetisches Sprechen, das den Text trägt. Nachdenklich schreibt S. seine Gedanken nieder und schwingt sich dabei gerne ins kollektive Wir, wenn er seine Beobachtungen und Reflexionen als allgemeingültig für ihn und die seinen hält. Aber dazu kommen wir später.

Eingebettet ist der Text in einen Rahmen, der die Motivation zu allem Vorgebrachten birgt: Der flüchtige Bekannte T. trägt dem jungen Autoren S. auf, an verschiedenen Abenden um sieben Uhr auf seine Anweisung hin an einen bestimmten Ort zu gehen, um dort einer Todsünde zu begegnen. Um sieben Uhr morgens soll er dann nach durchwachter Nacht über seine Erlebnisse schreiben.

T.s Aufträge führen S. auf ein Hochhaus, wo er den Hochmut mit dem Fall bzw. Sky Jump erlebt, in ein sündhaft teures Restaurant, in dem er sich der Völlerei ergibt. In seine eigene Wohnung, in der er sich gehen lässt und einfach mal faul ist. Auf die Trabrennbahn, wo er nach Gewinnen giert. Auf einen Maskenball, wo die Wollust herrscht. Und in die Universitätsbibliothek, wo er sich dem Neid auf die alte, vergangene Zeit hingibt.

Moment mal – dem Neid auf die Vergangenheit, die „gute alte Zeit“? Als die Welt noch einfacher war, gut und böse klar voneinander getrennt und die Kämpfe groß und voller Ideale? Das Neid-Kapitel ist in der zweiten Hälfte des Buchs platziert und war für mich der endgültige Augenöffner dafür, dass hier etwas gehörig faul ist. In der Bibliothek platzt die Bombe.

Woher kommt dieses dumpfe, wehleidige Gefühl, zu spät geboren zu sein, in Zeiten zu leben ohne Arien und Rausch? In denen man seine Eltern am liebsten anflehen würde: »Behaltet eure Erinnerungen für euch! Merkt ihr denn nicht, wie schwer sie wiegen, wie unsre Schultern davon einfallen und uns der Mut daran zerbricht?«

Hatten mich zuvor Wehleidigkeit und Pathos genervt und die gleichzeitig immerzu präsente und so gar nicht zu der propagierten Verletzlichkeit passen wollende Arroganz abgestoßen, so gesellt sich im Neid-Kapitel noch eine Weltfremdheit hinzu, eine zutiefst konservative Ignoranz, ein Fehlen jeglicher Kenntnis unserer Gegenwart, ihrer Kämpfe, ihrer Voraussetzungen. Und nicht zuletzt auch ihrer unendlichen Möglichkeiten, sich zu engagieren, die mich wütend machte und immer noch macht.

Wieso ist das so? Eigentlich könnte mir das alles doch herzlich egal sein, wäre nicht mehr als ein Achselzucken wert. Bildungsbürgerlicher Konservatismus, Arroganz, Hochnäsigkeit,  Weltfremdheit, Pathos, Selbstmitleid – alles nicht schön, aber auch kein Grund, sich derart aufzuregen. Wütend macht mich das Buch, weil es sich durch sein Wir auf eine Höhe schwingt, die beansprucht, für viele zu sprechen. Und in diesen vielen könnte ich als 33-Jähriger durchaus enthalten sein.

Aus meiner jetzigen Perspektive fühle ich mich dem Wir in Sieben Nächte so weit entfernt, dass es mich wütend macht daran zu denken, wie ältere oder jüngere Menschen dieses Buch lesen und dabei auch an mich denken könnten. Als einem Generationsgenossen, der die Gedanken des Buchs teilt. Dass ältere Kommentatoren wie Volker Weidermann in seinem Blurb und Florian Illies hier eine Generation hereinlesen, die wunderbar zu ihrem Stereotyp von ihr passt, setzt dem ganzen noch das i-Tüpfelchen auf.

Natürlich bin ich heute nicht mehr exakt der, der ich vor ein paar Jahren, mit Ende zwanzig etwa, gewesen bin. Ob ich damals nicht vielleicht doch viel mehr wie S. war, als ich es mir jetzt zugestehen würde? Ich habe diese Bedenken einige Zeit mit mir herumgetragen, zugegeben. Aber am Ende konnte ich aufatmen und mir selbst versichern: Nein, so wie S. war ich nicht und bin ich nicht. Natürlich hatte ich Angst, natürlich war und bin auch ich vor den Lastern der mittelalterlichen Todsünden nicht gefeit. Aber so wie S.? Nein.

Dass Sieben Nächte diese Selbstreflexion angeregt und mich meiner selbst damit ein wenig mehr versichert hat, ist dem Text positiv anzurechnen. Simon Strauß hat ein Buch geschrieben, das polarisiert. Eines, das nicht kalt lässt – zumindest mich nicht, und ich hoffe auch viele andere in den 1980ern Geborene nicht. Denn was sprachlich absolut in Ordnung ist, ist für mich inhaltlich eine Farce: hochnäsig, arrogant, selbstgefällig, herablassend – you name it. Am Ende hätte damit auch eine der sieben Todsünden gereicht, und zwei Drittel des ohnehin schmalen Bändchens hätte ich mir durchaus gerne erspart.

Simon Strauß: Sieben NächteSimon Strauß

Sieben Nächte

Blumenbar

140 Seiten | 16,– Euro

Erschienen im Juli 2017

 

Kategorie Blog, Rezensionen
Autor

Ich bin im Niemandsland von NRW zwischen Tagebauten und Kraftwerken aufgewachsen, da gab es nur wenige Argumente gegen ausgiebiges Lesen, um der Tristesse zu entkommen. Dann ging es nach Aachen, später nach Köln, dann nach Göttingen und nun lebe ich in Berlin und arbeite als Buchhersteller. Nebenbei spiele ich noch in Bands, meine zweite Leidenschaft ist ganz klar die Musik! Oder doch Kochen und Essen? Schwer zu sagen.

4 Kommentare

  1. … ich gehöre nicht dieser Generation an, kann aber deinen Groll sehr gut verstehen. Mir ist der Text auch vollkommen gegen den Strich gegangen, und ich kann mich des Gedankens nicht erwehren, dass er nur deshalb überhaupt so eine breite Öffentlichkeit erreicht hat, weil Simon Strauss eben der Sohn von Botho Strauss ist.

    • Danke für deinen Kommentar, Ute!
      Ich weiß auch nicht, ob ich anders urteilen würde, wäre der Inhalt des Textes nicht so ultra-konservativ. Wie eben der Vater… in jedem Fall schenke ich mir das neue Buch!
      Viele Grüße,
      Stefan

  2. Hallo Stefan 🙂

    ich habe das Buch auch vor kurzem gelesen und dazu sogar schon ein Video der Rubrik „Kann man lesen, muss man aber nicht „hochgeladen. Mich hat der Protagonist auch wütend gemacht mit seiner beschränkten Weltsicht.

    Bis Samstag 🙂

    • Hallo Anika,
      das finde ich eine sehr gute Rubrik für das Buch und werde gleich mal in dein Video reinschnuppern. Bin gespannt was du sonst noch zu sagen hast.

      Bis Samstag!

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