Linda Boström Knausgård: Willkommen in Amerika

Den Namen Knausgård kennt man in der Literaturwelt. An das autobiographische und entblößende Romanprojekt des Bestseller-Autors Karl Ove Knausgård ist wohl in den letzten Jahren niemand so recht vorbeigekommen. Nun ja, ich schon. Dafür habe ich gerade Willkommen in Amerika (Schöffling) gelesen. Der schmale Roman stammt aus der Feder von Linda Boström Knausgård, der Ex-Frau des berühmten Norwegers. Und ich frage mich jetzt, wie Knausgård himself das literarisch noch toppen will.

Linda Boström Knausgard: Willkommen in Amerika

Boströms Ich-Erzählerin Ellen ist elf Jahre alt und wohnt mit ihrem Bruder und der Mutter zusammen in einer hellen Wohnung. Genauso »hell« ist auch die Familie, so betont es jedenfalls immer Ellens Mutter, welche eine bekannte Schauspielerin ist. Ihr ist es wichtig, eine glückliche, starke und positive Familie zu führen, auch nach außen – das ist für sie der Inbegriff einer »hellen Familie«. Doch seit kurzem scheint eine graue Wolke über der heilen Welt zu hängen. Zum einen hat Ellen beschlossen, nicht mehr zu reden – mit niemandem, nicht einmal mit sich selbst, nicht einmal, wenn sie Tränen unterdrücken muss.

Ich hörte auf zu sprechen, als das Wachstum in mir einen zu großen Raum einnahm. Denn ich war mir sicher, dass ich nicht gleichzeitig sprechen und wachsen konnte.

Zum anderen ist Ellens Vater vor einiger Zeit gestorben. Aus Ellens Sicht erfahren wir, dass er Ellens Mutter zuliebe vom Land in die große Stadt gezogen ist. Sie konnte dort ihren Traum einer großen Schauspielkarriere verwirklichen. Er verlor seinen Halt, fand keinen Anschluss, wurde depressiv und war für seine manischen Ausbrüche bekannt. Ein ebenso dunkler Fleck für die sonst so »helle Familie«. So dunkel, dass Ellen irgendwann jeden Abend zu Gott betete, er möge bitte ihren Vater umbringen. Ihre Gebete wurden erhört.

Aus Schuldgefühl beginnt Ellen zu schweigen und treibt ihr Umfeld damit in große Sorgen. Doch auch im Schweigen findet sie keine Erlösung und zugleich sucht sie die Vergangenheit in Form des Vaters, der plötzlich in ihren Gedanken auftaucht, immer wieder heim. Nichts an diesem Kind ist kindlich, ihr Denken ist reflektierter als das mancher erwachsenen Person. Stück für Stück wird klar, dass wir es hier mit einem Mädchen zu tun haben, das immer tiefer in eine Depression verfällt.

Ich konnte die Gedanken sehen. Sie waren überall. Krochen hinunter in den Körper, umkreisten das Herz Mal für Mal, spielten mit dem Herzmuskel, drückten zu.

Auch die sonst so starke und als sehr schön beschriebene Mutter ist hilflos. Sie versucht zeitweise, Ellen zum Reden zu animieren. In anderen Momenten begegnet sie ihrer Tochter eher kühl und distanziert. Ihr Idealbild einer hellen Familie bröckelt.

Ich hielt ihr Weinen fest wie Fäden, die sich verheddert hatten, und ich versuchte, Garn für Garn zu entwirren, versuchte, mit meiner ganzen Erscheinung die Tränen aufzuhalten, doch wenn sie reichlich flossen, half das nicht, denn die Tränen waren um so viel stärker als ich.

Willkommen in Amerika ist ein beklemmendes Kammerspiel, das mich an vielen Stellen an Luise Maiers Dass wir uns haben erinnert hat. Auch in Boströms Buch spielt sich das Drama einer Kleinfamilie in den vier Wänden der Ich-Erzählerin ab, auch hier ist die Protagonistin in sich gekehrt und hat oft Angst vor den Gewaltattacken ihres Bruders. Auch sprachlich ähneln sich beide Romane. Wem also Luise Maiers Debüt gefallen hat, dem möchte wärmstens auch Willkommen in Amerika ans Herz legen.

Boströms Roman ist genauso düster wie faszinierend. Durch ihre lakonische und gleichzeitig unglaublich poetische Sprache verleiht die Autorin ihrer Ich-Erzählerin eine bedrohlich ruhig wirkende Stimme. Dieser Roman über Adoleszenz, aber auch über die Macht des Schweigens zeigt, dass selbst die hellste aller Familien nicht gefeit ist vor Schmerzen – und Kinder geschützt werden müssen, egal wie erwachsen sie schon wirken.

Ich will Willkommen in Amerika am liebsten gleich noch einmal lesen, denn hinter jedem Satz verstecken sich so viele Welten und Zwischentöne, dass man sie beim ersten Mal gar nicht alle fassen kann. So viel Tragik auf so wenig Seiten in einer solch präzisen und lyrischen Sprache – überwältigend.

Weitere Besprechungen findet ihr u. a. auf Zeichen & Zeiten, lustauflesen.de und foejetong.

Linda Boström Knausgård: Willkommen in Amerika

Linda Boström Knausgård

Willkommen in Amerika
Aus dem Schwedischen von Verena Reichel

Schöffling & Co.
144 Seiten | 18,– Euro
Erschienen am 8. August 2017

4 Kommentare

  1. Allein deine Rezension stimmt mich nachdenklich. Das Buch wäre auf jeden Fall auch was für mich!
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