[DBP 18] Gert Loschütz: Ein schönes Paar

In seinem neuen Roman Ein schönes Paar (Schöffling & Co.) erzählt Gert Loschütz nicht nur von einer Liebe, die an der Republikflucht zerbricht, sondern auch vom Schmerz einer Kindergeneration, die das alles miterlebt hat.

Gert Loschütz: Ein schönes Paar

Zugegeben, der Autorenname Gert Loschütz sagte mir bis vor seinem aktuellen Roman Ein schönes Paar, der mir sowohl im Feuilleton als auch auf den Literaturblogs in den letzten Monaten verstärkt aufgefallen ist, nicht viel. Seltsam, denn sein Œuvre ist weder klein noch unbedeutend, doch sein letzter Roman liegt mittlerweile sieben Jahre zurück. Das Buchpreisbloggen für den diesjährigen Deutschen Buchpreis war für mich nun der willkommene Anlass, mir ausgerechnet diesen Longlist-Kandidaten herauszupicken.

Eröffnet wird der Roman mit einer Nahaufnahme, der emotionalen und technischen Betrachtung eines Stereoskops. Mit diesem kann man von einer Stereokamera aufgenommene Bilder betrachten, die dann durch den 3D-Effekt sehr lebendig wirken. Eine alte Technik, die ich auch als Kind benutzt habe. Bei mir waren es zumeist Märchenbilder, ich konnte mich stundenlang damit beschäftigen. In Ein schönes Paar denkt der Erzähler darüber nach, wie tröstend und zugleich schmerzhaft Stereoskope in einer Zeit vor Skype, WhatsApp etc. für Paare waren, die an verschiedenen Orten lebten.

Ich könnte mir vorstellen, dass Liebespaare, die voneinander getrennt leben mussten, über diese Erfindung sehr froh waren. Eine Zeit lang jedenfalls, bis sie die Nähe, die doch nicht greifbar war, rasend machte.

Mit diesem Einstieg wird sogleich der Kosmos des gesamten Romans umrissen. Es geht um Herta und Georg, ein Paar, das sich 1939, noch vor dem Zweiten Weltkrieg, kennenlernt. Sie nähern sich langsam an. Wir sind hautnah bei ihrem ersten Date dabei – eine junge Liebe, die wächst. Die beiden heiraten und kurz nach dem Krieg wird ihr Sohn Philipp geboren, der uns die Geschichte seiner Eltern erzählt.

Die Familie lebt gemeinsam in einer Kleinstadt der damaligen DDR. Bei einem Westbesuch begeht Georg den Fehler, Kontakt mit den Behörden des Klassenfeindes aufzunehmen. Als wenige Wochen nach seiner Rückkehr ein Brief von ebendiesen Behörden ins Haus flattert, weiß Georg, dass die Stasi ihm spätestens von da an auf der Spur sein wird. Für ihn gibt es nur einen Ausweg: die Flucht in den Westen. Damit einher geht der Abschied von seinem Sohn und seiner geliebten Frau.

Sie lebten noch, sie waren zusammen, sie hielten sich am Arm, aber zwischen ihnen ging ein Dritter, der Abschied.

Einige Zeit später folgen auch Herta und Philipp ihm von Thüringen nach Hessen. Da ihr Ostgeld »drüben« nichts Wert ist, bringt Herta eine in der DDR teuer erstandene Kamera mit sich. Im Westen scheint diese allerdings wertlos. Da Georg seine Frau nicht enttäuschen will, leiht er sich Geld aus dem Tresor seines Chefs und gibt vor, die Kamera verkauft zu haben. Durch einen Zufall – so wie in diesem Roman viele lebensverändernde Ereignisse durch Zufälle beeinflusst zu werden – kommt Georgs Chef dahinter. Philipps Vater kommt ins Gefängnis, Herta besucht ihn regelmäßig und bittet gleichzeitig Georgs Chef um Gnade. Aber nichts tut sich.

Zeit vergeht und Herta verschwindet immer wieder für längere Zeit, vor allem abends, aus dem Haus. Als Philipp der Sache auf die Spur geht und ihr folgt, muss er eine traumatische Entdeckung machen: Seine Mutter hat eine Affäre mit Georgs Chef. In flagranti erwischt er die beiden und wird diesen Moment nie wieder vergessen können. Kurz darauf trennen sich die Eltern, ganz lautlos und ohne sich jemals scheiden zu lassen. Philipp lebt fortan bei seinem Vater, besucht aber die Mutter, bis diese plötzlich für 29 Jahre aus seinem Leben verschwindet – erneut ein schmerzlicher Einschnitt für Philipp, und es wird nicht der letzte sein.

Anhand von Fotos, Erzählungen des Vaters, Nachforschungen und Kindheitserinnerungen rekonstruiert Philipp Stück für Stück das Leben seiner Eltern für uns. Dabei tritt er zeitweise als Ich-Erzähler auf und andermal als auktoriale Erzählstimme, die Philipp dann meistens als »der Junge« bezeichnet. Dieser Wechsel zwischen den Stimmen ist sowohl kunstvoll als auch bedeutsam. Distanz und Nähe liefern sich ein Wechselspiel und verdeutlichen Philipps Elternliebe als auch den Schmerz, den sie ihm vielleicht ganz unbewusst zugefügt haben.

Ein schönes Paar erzählt aber nicht nur von Schmerz und Enttäuschung. Es erzählt auch von einer Liebe, die die Flucht in ein anderes Land nicht überstanden hat. Und es zeigt Identitäten, die an der Teilung Deutschlands zerrissen sind. Loschütz verleiht hier einer ganzen Kindergeneration eine Stimme, die verstehen will, wie es ihren Eltern im Leben zwischen den Systemen erging. Das schafft er sehr eindrücklich mit einer unprätentiösen Sprache und einem sehr linear-klassischen Erzählton – für meine Verhältnisse manchmal zu klassisch, zu wenig innovativ. Aber vielleicht bin ich auch einfach ein bisschen geschädigt von der jungen Literatur. Ein schönes Paar kommt mir schon heute wie ein moderner Klassiker vor, der zu Recht auf der Longlist des Deutschen Buchpreises steht und sicherlich auch auf der Shortlist einen Platz finden wird.

Gert Loschütz: Ein schönes PaarGert Loschütz

Ein schönes Paar*

Schöffling und Co.

240 Seiten | 22 Euro

Erschienen im Februar 2018


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