[DBP 18] Josef Oberhollenzer: Sültzrather

In seinem neuen Roman Sültzrather (Folio) lässt Josef Oberhollenzer das Leben des Dichters Vitus Sültzrather Revue passieren. Ein schicksalsträchtiges Leben, das es vielleicht gar nicht gab?

Josef Oberhollenzer: Sültzrather

Nach Carmen-Francesca Bancius Lebt wohl, Ihr Genossen und Geliebten! landet mit Sültzrather vom österreichischen Autor Josef Oberhollenzer ein weiterer äußerst unkonventioneller Roman auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis 2018.

Im Mittelpunkt steht der österreichische Dichter Vitus Sültzrather, der zunächst Zimmermann ist. Nach einem Sturz vom Baugerüst sitzt Sültzrather im Rollstuhl und beginnt, seine Gedanken und Erinnerungen literarisch zu verpacken und aufzuschreiben. Durch seine Querschnittslähmung fühlt er sich von der Welt entfremdet. Nach und nach beginnt er, seine Aufzeichnungen auf drastische Weise wieder zu vernichten. Einiges blieb jedoch nach Sültzrathers Tod erhalten, und das präsentiert uns Oberhollenzer nun unter anderem in seinem Roman.

Josef Oberhollenzer ist ein präziser Chronist. Für meinen Geschmack etwas zu präzise. Während im Haupttext immer wieder Ausschnitte aus Sültzrathers Leben und dem seiner Freunde, Bekannten und Verwandten gezeigt werden, reihen sich in den jeweiligen Fußnoten (lange Fußnotenapparate, teilweise länger als die jeweiligen Kapitel) bis ins kleinste Detail ausformulierte Zusatzfakten und Hintergrundinformationen. Zeitweise hatte ich das Gefühl, eine Germanistikhausarbeit zu lesen. Die Fußnoten waren keinesfalls uninteressant und teilweise auch sehr ironisch verfasst, doch musste ich sie trotzdem überfliegen. Womit ich gefühlt das gesamte Buch eher überflogen habe.

Dieser Sültzrather hat mich dann doch interessiert, aber ich konnte auch nach intensivstem Googeln nicht ausmachen, ob es ihn wirklich gab. Wahrscheinlich nicht, und hier liegt bei aller Proseminarstimmung eine große Stärke des Romans. Oberhollenzer treibt hier ein perfektes Spiel mit Realität und Fiktion. In den Fußnoten beispielsweise werden Texte Sültzrathers mit Sekundärliteratur belegt, die es wahrscheinlich gar nicht gibt. Und nicht nur das. Auch sprachlich ist Sültzrather ein großes Experiment – das geglückt ist. Von tagebuchartigen Kapiteln über lyrisch anmutende Bewusstseinsströme bis hin zu zahlreichen vorangestellten und vor allem passgenauen Zitaten ist alles dabei.

Schwarzhumorige Passagen, in denen zum Beispiel die akribische Schuhsammlung des querschnittsgelähmten Sültzrather beschrieben wird, wechseln sich mit skurrilen Szenen ab. Wie jene, in der die Schwester des Dichters sich aus Trauer am Inventar des zu verkaufenden Elternstadels befriedigt.

Daß sie sich nackt ausgezogen habe, um mit ihrem körper ganz eng bei allem gerät und bei all den dingen zu sein, die da durcheinander gelegen seien so kreuz und quer, als wäre nicht nur die zeit mit staub und fäulnis über sie […]

Aber auch die tragischen und leisen Momente liegen Oberhollenzer: Sültzrather baut sich schließlich eine Arche, in der er sehr viel Zeit verbringt und letzten Endes auch stirbt. Ich bin immer noch beeindruckt von Oberhollenzers Handwerk. All die Collagen, die er in diesem Buch entwickelt hat, die Verweise, die zahllosen Sprachspiele, die ausgeklügelte Motivik – literarisch anspruchsvoll und innovativ zugleich. Somit zu gutem Recht auf der Longlist. Dennoch bleibt ein fader Nachgeschmack. Wenn ich an die Lektüre zurückdenke, kommt mir sofort das Wort »anstrengend« in den Sinn und das Bedürfnis nach einem erneuten close reading wird sich bei mir auch nicht so bald einstellen.

Ich freue mich für Josef Oberhollenzer und den Folio Verlag über die Longlist-Nominierung, denn Indiebook- und Nischenpower ist immer gut, dennoch kann ich mir nur schwer vorstellen, dass Sültzrather auch auf der Shortlist landen wird. (Was die Teilnehmer*innen einer Börsenblatt-Umfrage im Übrigen ganz anders sehen.)

Josef Oberhollenzer: Sültzrather

Josef Oberhollenzer

Sültzrather*

Folio

183 Seiten | 20 Euro

Erschienen im September 2018


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