Manja Präkels: Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß

Manja Präkels schreibt in ihrem Debütroman Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß (Verbrecher Verlag) zunächst von einer Kindheit im Brandenburg zu Zeiten der DDR, das nach der Wende plötzlich ein gänzlich anderes, hässliches Gesicht zeigt. Arbeitslosigkeit ist dabei nur ein Teil des Verfalls in der namenlosen Havelstadt.

Manja Präkels: Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß Cover

Mimi Schulz wächst in einer kleinen Stadt an der Havel auf, im schönen Brandenburg, nicht weit weg von Berlin. Die späten 1970er und dann 1980er-Jahre zeigen die DDR nicht mehr gerade in ihrem allerbesten Zustand, aber das kann dem Kind Mimi eine ganz schöne Kindheit nicht verwehren. Es herrscht nicht gerade Wohlstand in ihrem Umfeld, dem Kind reicht das vorhandene aber absolut aus. Nur ein paar Streitigkeiten in der Familie trüben das Bild ein wenig, aber die gibt es schließlich überall.

So tut Mimi Dinge, die Kinder eben tun. Sie geht mit ihrem Vater in der Havel und angrenzenden Seen angeln, tollt mit den Nachbarskindern durch alle Gebüsche, Hinterhöfe und Pfützen der Straße, rauft sich auch mal. Und isst Schnapskirschen mit dem Nachbarsjungen Oliver, heimlich unter dem Tisch, damit die Eltern es bei Kaffee, Kuchen und selbst aufgesetztem Likör nicht bemerken. Schon auf den ersten Seiten des Romans begegnen wir diesem Oliver, allerdings unter seinem späteren Spitznamen: Hitler.

Mein neuer Freund Hitler, der damals noch Oliver hieß, wohnte drei Häuser weiter, war eine Klassenstufe über mir und lief meist allein über den Schulhof. Wir trafen uns nun öfter, wie zufällig, an der Havel oder auf dem Weg nach Hause. […] Es dauerte nicht lange, bis wir beieinander ein- und ausgingen.

Dieser Spitzname kommt – wie man sich bei einem solchen Namen wohl schon denken kann – dann auch nicht von ungefähr. Denn mit der Wende kippt in dem beschaulichen Städtchen die Stimmung. Viele Betriebe schließen, diejenigen, die offen bleiben, entlassen meist viele Mitarbeiter*innen. Die Zahl der sogenannten Wendeverlierer*innen ist beträchtlich. War das gesellschaftliche Klima vor der Wende nicht perfekt, aber doch durch irgendwie milde Zukunftsaussichten zu ertragen, so hält mit zunehmender Schwächung der Struktur auch der Pessimismus einen deutlichen Einzug.

Greifen die Männer vor allem mehr zur Flasche, rasieren sich viele Jugendliche die Köpfe kahl, schnüren wadenhohe Springerstiefel, tragen Bomberjacken und grölen besoffen – aber auch gerne nüchtern – Parolen, die man in der per Staatsräson antifaschistischen DDR nicht gehört hatte. Vielleicht wurde auch weggehört, weggeschaut, wenn Nazis auftraten – nun gibt es plötzlich kaum noch Möglichkeiten, wegzuschauen. Überall tummeln sich die kleinen Faschos, übernehmen Kneipen, Viertel, Schmuggel, den Drogenhandel. Und lassen niemandem, der oder die etwas dagegen haben könnte, Luft zum Atmen.

So auch Mimi. War sie als Jugendliche eigentlich eher unpolitisch, aber durchaus kritisch, so identifizieren die Nazis sie nun gleich als „Zecke“. Ihre knallrot gefärbten Haare dürften dabei zwar auch eine Rolle gespielt haben, aber grundlegend erkennen die Rechten in ihr etwas Einfaches: eine Gegnerin. So machen sie Mimi das Leben zur Hölle, lassen ihr und ihren Freunde keine ruhige Minute mehr. So werden die paar Jugendlichen aus Mimis Umfeld, die nicht zu den Nazis gehören wollen, aus Mangel an Alternativen schnell zu einer kleinen, verschworenen Widerstandsgruppe. Da der Kampf gegen die braune Übermacht hoffnungslos scheint, versuchen sie unsichtbar zu werden und ertränken zunächst ihr Schicksal in Schnaps, Bier und Gras.

Mit ihren Schilderungen in Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß legt Manja Präkels den schriftstellerischen Finger tief in eine deutsche Wunde. Ich schreibe bewusst nicht von einer ostdeutschen, denn Rechtsradikalismus als in erster Linie ostdeutsches Phänomen abzutun, wäre eine irreführende und falsche Verkürzung. Der nach dem Zweiten Weltkrieg nie ausgestorbene, aber zunächst für viele Jahre aus der öffentlichen Wahrnehmung abgetauchte Nazismus erlebt jedoch nach der Wiedervereinigung in den neuen Bundesländern eine wahre Explosion.

Ob es immer und überall so extrem war, wie Präkels es in ihrem Debüt darstellt, ist damit natürlich nicht gesagt. Die Eindrücklichkeit ist jedoch enorm. Bedrückung und Aussichtslosigkeit der nicht-rechten – man traut sich kaum, sie als Linke zu bezeichnen – Jugendlichen und jungen Erwachsenen auf der einen Seite, die Hemmungslosigkeit, Dreistigkeit, ja schlicht Widerlichkeit der Rechten auf der anderen Seite schockieren. Nicht weniger im Übrigen als die Ignoranz der Erwachsenen der Mitte, die die Glatzen machen lassen und deren Opfern die Schuld an ihrem Schicksal zuschieben.

Ich kann mich an keinen Roman der deutschen Gegenwartsliteratur aus den letzten ca. 20 Jahren erinnern, der den rechten Rand des politischen Spektrums in unserer Gegenwart so deutlich ins Auge gefasst hat. In diesem Punkt lasse ich mich natürlich gerne eines Besseren belehren. Richtig bleibt aber wohl, dass das Thema in Buchpreislisten oder ähnlich öffentlichkeitswirksamen literarischen Diskursen jahrelang schlichtweg keins war. Diesem Zustand dürfte Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß endlich Abhilfe schaffen.

Ein Wort der Kritik sei aber auch angebracht. Mit der Sprache des Romans bin ich erst spät, irgendwo in der zweiten Hälfte mit dem Aufkommen der rechten Bedrohung, warm geworden. Der Beginn, also die Schilderung von Mimis Kindheit, ist von einem leicht naiven, kindlichen Erzählen geprägt, das für mich – der ich im Westen aufgewachsen bin – ein wenig zu sehr zur gemütlich-warmen Sepiafärbung neigt. Nicht dass ich denke, dass dies alles düsterer dargestellt gehörte. Aber Rückschauen mit Weichzeichner sind einfach nicht mein Ding, Erzählungen aus Kindersicht auch nicht. Und da die Ich-Erzählerin Mimi ja eigentlich aus dem Erwachsenenalter heraus erzählt, wäre die Naivität meiner Meinung nach auch nicht nötig gewesen. Mit zunehmender inhaltlicher Härte wirft die Erzählerin aber auch die sprachliche Weiche und Naivität ab, was dem Roman sehr zugute kommt.

Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß wird noch für Diskussionen sorgen und tut es auch bereits. Das ist gut, denn es rückt das deutsche Problem Rechtsradikalismus in den Fokus auch der literarischen Debatte. Der eindrucksvolle, bedrückende, gnadenlos harte Roman bringt dafür mehr als genug Zündstoff mit.

Eine weitere Rezension gibt es hier: Zeilensprünge

Manja Präkels: Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß. CoverManja Präkels

Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß

Verbrecher Verlag

232 Seiten | 20,– Euro

Erschienen im Juli 2017

6 Kommentare

  1. Ich teile Deinen Eindruck – das Buch gewinnt mit der Zeit, das kindliche Kirschenessen war auch nicht so sehr meines, das erschien mir auch zu sehr „Verklärung“ – aber dann wird diese heimelige Welt aufgebrochen und die Sprache anders. Ich fand das im Ganzen sehr eindrücklich.

    • Ganz genau, mit dem Auftauchen der Nazis ändert sich alles, sowohl was das Buch betrifft als auch die Stadt. An da ist es so fesselnd und bedrückend, dass es einen fast überrollt.

  2. Hallo Stefan,

    das dieses Thema noch nicht auf Buchpreis gemünzt wurde, stimmt so nicht ganz. Kann da nur Peter Richters 89/90 empfehlen, welches in DD spielt und ähnlich geartete ist, wie das von Manja Präkel. Er schreibt mit autobiographischem Hintergrund über die titelgebende Zeit und stand damit 2015 zumindest auf der Longlist.

    Vor ein paar Tagen habe ich auch das Buch „Oder Florida“ von Christian Bangel gelesen, welches die thematische Fortsetzung des Ganzen ist. Kann ich dir ebenfalls ans Herz legen.

    Das vorliegende Buch werde ich nun wohl doch eher lesen, als geplant. Klingt interessant und für die sprachliche Seite des Buches findet sich auch ein Weg, um da hineinzufinden. Danke für den Tipp.

    Gruß
    Narc

    • Hallo Marc,
      danke für deine Tipps, die hatte ich nicht auf dem Schirm und werde mich mal schlau machen!
      Und sprachlich ist das Buch einfach nicht so ganz mein Fall, trotzdem aber absolut gut lesbar. Bin gespannt was du dann später schreibst!

      Viele Grüße,
      Stefan

      • Einen Tipp hatte ich noch vergessen. Im Nachgang zu „Oder Florida“ bin ich noch auf Birk Meinhardt mit „Brüder&Schwrstern“ gestoßen. Ein Buch spielt zu DDR- Zeiten, dass Zweite nach der Wende.
        Grüße
        Marc

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