Jan Brandt: Ein Haus auf dem Land / Eine Wohnung in der Stadt

Wohnen ist Wahnsinn. Zumindest für viele Stadtbewohner*innen wie mich ist das Thema zum Dauerbrenner geworden. Jan Brandt dokumentiert in Ein Haus auf dem Land / Eine Wohnung in der Stadt (DuMont) sowohl seine Mieterbiographie der letzten dreißig Jahre als auch seinen überraschenden Wunsch, das Dorfhaus seines Urgroßvaters zu kaufen.

Jan Brandt: Ein Haus auf dem Land/Eine Wohnung in der Stadt

Aktuell beginnen Reportagen immer häufiger mit der Feststellung, dass unsere Gesellschaft auseinanderdriftet. Die Gegensätze werden immer größer, zwischen globalem Norden und globalem Süden, Industrie- und Entwicklungsländern in globalem Maßstab, zwischen arm und reich, gebildet und ungebildet, Stadt und Land in nationalem Maßstab.

Jan Brandt nimmt in seinem aktuellen Doppelbuch letztere Trennung in den Blick, wenn auch anders, als man es erwarten könnte. Denn Ein Haus auf dem Land / Eine Wohnung in der Stadt konstruiert keinen Plot um die unterschiedlichen Lebenswelten fiktionaler Figuren, baut keine Welt, in die der Blitz wie auf dem Cover einschlägt. In zwei klar voneinander getrennten und in sich abgeschlossenen Hälften steht vor allem der Autor selbst und zwei seiner ganz persönlichen Geschichten im Vordergrund.

In diesem Fall gibt es bis auf den auch im Buch zu findenden Hinweis, dass jedes autobiographische Schreiben notwendig auch ein fiktionales ist, wenige Zweifel, sind die Hälften doch jeweils als Materialbände markiert, die je bestimmte Zeiten abdecken. Der Teil zur Stadt basiert auf Aufzeichnungen der Jahre 1998 bis 2018, die Landpartie ist kürzer, 2013 bis 2018. Die Überschneidung lässt aber schon ahnen, dass die Hälften so ganz ohne Bezug aufeinander dann doch nicht auskommen werden.

Ich habe mit der Stadt angefangen, da mir das Thema einfach näher liegt. Ein Glücksgriff, der Text hat mich mit seiner Offenheit und Geradlinigkeit sofort in seinen Bann gezogen. Brandt erzählt von seinem Umzug nach Berlin 1998, von WGs, Zwischenmieten, legal und illegal, von der ersten eigenen Wohnung, von Mitbewohner*innen und Nachbar*innen aus dreißig Jahren Berlin. Das Wohnen steht im Mittelpunkt, und zwar das Wohnen zur Miete.

Über den großen Zeitraum vollzieht man mit dem Protagonisten eine Entwicklung, an deren Endpunkt alle Städter*innen gerade zu knabbern haben, um nicht zu sagen: leiden. Das Wohnen verändert sich, und mit ihm die Stadt, Berlin. Berlin wird vom Paradies der Künstler*innen langsam zur typischen europäischen Großstadt, immer internationaler, aber auch immer teurer. Gentrifizierung und eine starke Kommerzialisierung des Immobiliensektors gehen Hand in Hand.

Das Grundproblem wird immer existenzieller: Ich miete mein Zuhause, meinen Rückzugsraum. Doch es ist nicht meins, ich habe die Konditionen nicht in der Hand. Und es gibt kein Recht darauf, in einer bestimmten Gegend wohnen zu können. Als Brandt seine langjährige Wohnung verliert, beginnt eine Suche, die nicht im eigentlichen Sinne etwas Besonderes ist, aber so real und allgemeingültig, dass ich oft Gänsehaut hatte. Ein vollkommen realer Albtraum.

Durch die Eigenbedarfskündigung war etwas ins Wanken geraten: der Glaube, auch in einer Großstadt für immer an einem Ort bleiben zu können. Die Briefe meines Vermieters hatten mir vor Augen geführt, wie brüchig das Leben war. Es war wie ein Riss, der sich plötzlich an der Wohnzimmerwand auftat und der so langsam länger und breiter wurde, dass man ihn zuerst gar nicht wahrnahm, bis dann eines Tages das ganze Haus in sich zusammenfiel.

Motiviert von diesem Albtraum ist die andere Hälfte, die sich mit einer fixen Idee beschäftigt. Jan Brandt erfährt, dass der Hof seines Urgroßvaters im Dorf seiner Eltern abgerissen werden soll. Er hat nie selbst dort gelebt, die Familie lebt schon seit Jahrzehnten nicht mehr auf dem großen Dorfhof. Doch die Idee nistet sich in seinem Kopf ein, dass der Hof ein Zeugnis der Vergangenheit, der Familiengeschichte ist und erhalten bleiben muss. Erst mit der Zeit – mit dem immer tieferen Einsteigen in die Möglichkeit, den Hof zu kaufen, und noch mehr in die damit verbundene Konsequenz, aufs Dorf zurückzuziehen – kommt ihm in den Sinn, was er eigentlich vorhat.

Es ist ein Wahnsinn, den er sich da aufgebürdet hat. Und warum? So einfach ist es nicht zu sagen, aber die Erfahrung von Heimatlosigkeit in der Stadt, von Fremdbestimmtheit und existenzieller Bedrohung haben wohl etwas getriggert, das er sich selbst nicht zu träumen gewagt hätte. Eine Sehnsucht nach Sicherheit, Verlässlichkeit, und dann irgendwie auch Familie und Tradition, die den städtischen Erfahrungen entgegenstehen.

Der Land-Teil kommt für mich nicht an die Stadt heran. Das liegt vermutlich ganz einfach daran, dass mir die Erfahrungen in der Stadt viel näher sind. Aber auch ein wenig daran, dass es in Ein Haus auf dem Land auch viel um Brandts Familie geht und deren verschlungene Wege in den letzten ca. hundert Jahren. Das ist familien- und regionalhistorisch bestimmt nicht uninteressant, für mich war es aber zu viel.

Ein Haus auf dem Land / Eine Wohnung in der Stadt ist ein Zeugnis der Trennung zwischen beiden Lebenswelten, zwischen Stadt und Land. Und dafür, wie zentral das Thema Wohnen für uns geworden ist. In unaufgeregtem, dokumentarischem Ton erkundet Jan Brandt seine eigene Vergangenheit der letzten dreißig Jahre und lässt uns daran teilhaben. Auch einige Fotos begleiten den Titel, die den dokumentarischen Charakter noch unterstreichen. Für mich trotz kleiner Schwächen ein absoluter Gewinn.

Ein Haus auf dem Land / Eine Wohnung in der Stadt

Jan Brandt

Ein Haus auf dem Land /
Eine Wohnung in der Stadt

DuMont

424 Seiten | 24 Euro

Erschienen am 17.5.2019

Kategorie Blog, Rezensionen
Autor

Ich bin im Niemandsland von NRW zwischen Tagebauten und Kraftwerken aufgewachsen, da gab es nur wenige Argumente gegen ausgiebiges Lesen, um der Tristesse zu entkommen. Dann ging es nach Aachen, später nach Köln, dann nach Göttingen und nun lebe ich in Berlin und arbeite als Buchhersteller. Nebenbei spiele ich noch in Bands, meine zweite Leidenschaft ist ganz klar die Musik! Oder doch Kochen und Essen? Schwer zu sagen.

Kommentar verfassen