Okay, ich gebe es zu: In erster Linie hat mich dieses Buch wegen seines knalligen Covers angezogen. In rosa Farbe eingetauchte Bananen sind einfach klasse. Doch auch die Geschichten in Alexandra Kleemans Erzählungsband Kunstblut (Kein & Aber) haben es in sich.
Es ist schon eine Weile her, dass ich Kunstblut gelesen habe. Um genau zu sein, drei Monate. Anfang September lag der Erzählungsband während der letzten warmen Tage des Jahres mit mir zusammen im Park. Mittlerweile weiß ich schon gar nicht mehr, worum es exakt in jeder der zwölf Kurzgeschichten geht. Aber zwischen mir und dem Buch blieb ein Gefühl: Ich mag es.
Kunstblut besteht aus drei Teilen zu je vier Erzählungen, die thematisch zusammenhängen oder wie im mittleren Teil sogar von ein und derselben Figur erzählen. Dieser zweite Teil ist mit den Geschichten um Karen auch zugleich der in sich geschlossenste und obwohl in Kleemans Erzählungen überwiegend Frauen die Hauptrolle spielen, der feministischste. Karen ist Anfang dreißig, lebt in einer Großstadt in den USA und steht wohl für so einige westlich geprägte Frauen in diesem Alter. Karen will in ihrem Job erfolgreich sein, gleichzeitig einen passablen Partner finden, sich selbst verwirklichen, emanzipiert sein. Die vier Erzählungen über sie geben Einblick in vier Lebensabschnitte. Erst sehen wir Karen als Karrierefrau, im nächsten Augenblick schon als Frau mit Baby, die sich zu Hause eingesperrt und reduziert fühlt: Stichwort „Regretting Motherhood“. Hinzu kommt der stets männliche Blick, den Karen auf sich spürt, wie beispielsweise in der Erzählung „Innewerden“:
Sie haben schöne Augen, sagte er mit einem Mal.
Ich hasste solche Komplimente, die einen Teil deines Körpers herausmeißeln und zum Angucken auf einen Präsentierteller legten.
Dieser zusammenhängende Erzählungsblock hat mir sehr gefallen, aber auch die anderen Geschichten waren ein Genuss. Eine meiner liebsten war „Der Tanzmeister“, die Geschichte von einem Wilden, der zivilisiert werden soll, indem er höfische Tänze vorführt. Am Ende bleibt dieses Vorhaben aber unmöglich, denn im Herzen kann der Wilde nicht gebändigt werden. Eine schöne Message, wie ich finde – zeitlos und leicht übertragbar.
Natürlich gibt es auch Erzählungen in Kunstblut, mit denen ich weniger anfangen konnte. Da wäre zum Beispiel „Eine kurze Geschichte vom Wetter“, die im Vergleich zu den übrigen Erzählungen gar nicht mal so kurz ist. Durch diese Kurzgeschichte musste ich mich regelrecht durchquälen. Sie war mir einfach zu abgedreht, zu abstrus und sprunghaft. Dennoch gab es auch hier einzelne Teile, Gedanken und Absätze, die mich berührt haben. Ich denke, das ist eine dieser Geschichten, über die man ewig lang mit anderen reden könnte.
Der Schnee ist, was Sand wäre, wenn der seine Beschaffenheit vergessen könnte, seine Härte, seine Grobheit, seine Schwere. Und der Schnee ist, was wir wären, wenn wir unsere vergessen könnten.
Das Besondere und ganz verbindende Element in Kunstblut ist die Sprache der Autorin. Kleeman gelingt es, die absurdeste Story mit solch starken Bildern zu verknüpfen, dass die grundlegendsten zwischenmenschlichen Emotionen offengelegt werden. In „Du, am Verschwinden“ zeichnet die Autorin das Bild einer Apokalypse, in der nach und nach Dinge ohne Vorwarnung aus der Welt verschwinden. Die Protagonistin dieser Erzählung lebt in ständiger Angst, dass sie nach ihrem Hund nun auch ihren Geliebten plötzlich verlieren wird.
Manchmal wählte ich gleich noch einmal deine Nummer, nur um zu hören, wie du abnahmst, und um zu wissen, dass deine Hände in genau dem Moment an einem Stück Plastik lagen, das über Hunderte von Kabel- und Drahtmeilen einen filigranen Weg zu mir knüpfte.
Alexandra Kleeman spielt mit den Erzählformen, mal wird wie hier ein „Du“ angesprochen, mal gibt es eine auktoriale und dann wieder eine personale Erzählstimme. Die Kurzgeschichten in Kunstblut sind experimentierfreudig und formvollendet zugleich. Die starken sprachlichen Bilder, die knappen, aber intensiven Sätze und die eindrücklichen Figuren haben mich besonders fasziniert. Ich möchte behaupten, dass in Kleemans Buch für jede*n die passende Geschichte dabei ist. Über all den skurrilen Begebenheiten in jeder einzelnen Erzählung hängt schließlich immer auch ein bisschen Schwere und ein Hauch von Melancholie, sodass mich Kunstblut zudem stark an Sylvia Plaths Die Bibel der Träume erinnert hat, was nur ein Lob sein kann. Das Cover von Kunstblut mag krass sein, aber Kleemans Erzählungen sind noch krasser – in vielerlei Hinsicht.
Alexandra Kleeman
Kunstblut
Aus dem Amerikanischen von Guntrud Argo
Kein & Aber
256 Seiten | 18,- Euro
Erschienen am 5. September 2017