Zwei Schwestern, eine psychisch instabile Mutter und ein übergriffiger Vater, der meist durch Abwesenheit glänzt. Da kommt vieles zusammen, vor allem das Gegenteil einer netten Familiengeschichte. Mit Je tiefer das Wasser (Suhrkamp) hat Katya Apekina einen heftigen und intensiven Debütroman geschrieben.
1997: Die Schwestern Edie und Mae sind 16 und 14 Jahre alt, als ihre Mutter Marianne versucht, sich im eigenen Haus das Leben zu nehmen. Edie kann ihre Mutter gerade noch retten, die daraufhin in eine psychiatrische Klinik eingewiesen wird. Die beiden minderjährigen Teenager müssen ihren Heimatort in Louisiana verlassen und zu ihrem Vater – dem angesehenen Autor Dennis Lomack – nach New York ziehen.
Während Mae, die zuvor eine gefährlich symbiotische Beziehung mit ihrer Mutter eingegangen ist, sich über die Zeit mit ihrem Vater und die scheinbar neu gewonnene Freiheit freut, leidet Edie unter dem Umzug. Sie vermisst die Schule, ihre Freund*innen und nicht zuletzt ihre Mutter, nach deren Aufmerksamkeit sie sich verzehrt. Das Verhältnis der Schwestern zueinander ist innig und gespalten zugleich. So verwundert es nicht, dass es schon bald zum Bruch kommt.
Edie flüchtet zurück nach Louisiana, um ihre psychisch sehr labile Mutter aus der Klinik zu befreien, während Mae in New York bleibt und glücklich darüber ist, dass sie ihren Vater nun ganz für sich allein hat. Dieses Glück kippt jedoch schnell und die Lesenden finden sich inmitten der Geschichte einer toxischen Familie wieder.
In Ausschnitten und aus verschiedenen Perspektiven wird rekonstruiert, wie Dennis und Marianne sich kennengelernt haben. Wie die damals 17- und der 32-Jährige heirateten. Wie Marianne fortan seine Muse wurde. Wie er sie zermürbte, indem er ihr alles abverlangte, um den nächsten Bestseller schreiben zu können. Vieles bleibt im Dunkeln, doch das Ausmaß des psychischen Missbrauchs wird deutlich. Da Mae ihrer Mutter so ähnlich sieht, ihre Bewegungen sich gleichen, sie sich nur noch durch die Augen des Vaters betrachtet, droht sich die toxische Beziehung zwischen Dennis und Marianne zu wiederholen. Nur dass es dieses Mal seine Tochter ist, die ihm eine Muse sein soll – und die lässt sich darauf ein, was schon bald sehr gefährlich wird …
In jenem Frühling war Dad das Einzige, was für mich zählte. Ich wollte ihm nur gefallen. Ich wollte ständig seine Aufmerksamkeit. Wenn seine Gedanken bei Mom waren – und das waren sie oft –, dann wurde ich eben Marianne. [Mae]
Je tiefer das Wasser ist ein düsterer, geradezu finsterer Roman, der mich komplett vereinnahmt hat. Die US-amerikanische Autorin Katya Apekina schreibt über Missbrauch – körperlichen wie seelischen –, gefährliche Abhängigkeiten in Partnerschaften, Traumata und handlungsunfähige Eltern, die gefangen sind in ihrer eigenen Psyche. Alles harte Themen, die die Debütautorin auch genauso verpackt. Die Sprache des Romans ist distanziert, reduziert, und dabei so ruhig, dass es in Kombination mit den verhandelten Sujets schon fast wehtut. Mir hat der Stil wahnsinnig gut gefallen – großes Kompliment an die Übersetzerin Brigitte Jakobeit!
Erzählt wird außerdem auf verschiedenen Zeitebenen. Während die meisten Figuren das Geschehen rückblickend beschreiben, erzählt Edie stets aus den Situationen heraus, die sich 1997 zugetragen haben. Hinzu kommen Briefe von Marianne, alte Interviews mit Dennis oder Mariannes Akte aus der Klinik. Und auch Personen aus der näheren Umgebung werden »befragt« – diese Textstellen wirken wie Zeugenaussagen, die ich mir sofort als Filmszenen vorstellen konnte.
Mit Je tiefer das Wasser hat Katya Apekina ein dichtes, filmisch anmutendes Debüt geschrieben, das durch seine Collagentechnik künstlerisch und spannend zugleich ist. Darüber hinaus verströmt es für mich so ein diffuses USA-New-York-Feeling, das ich gar nicht näher beschreiben kann. Ich freue mich jedenfalls schon sehr auf den nächsten Roman der Autorin.
Weitere Rezensionen findet ihr u.a. auf den Blogs Zeichen & Zeiten, Buchrevier, Fräulein Julia und Bookster HRO.
Katya Apekina
Je tiefer das Wasser
Suhrkamp
396 Seiten | 24 Euro
Erschienen am 17.2.2020