[class] 5 Fragen an Bettina Andrae, Elisa Aseva und Senthuran Varatharajah

Am 5. November findet die fünfte und für dieses Jahr letzte Ausgabe von »Let’s talk about class« über Wege aus dem Klassenkrampf im Berliner ACUD statt. Dieses Mal wieder ganz ohne Publikum, dafür natürlich im Livestream. Zu Gast werden Bettina Andrae, Elisa Aseva und Senthuran Varatharajah sein. Wir haben ihnen vorab fünf Fragen zum Thema »Klasse« gestellt.


Bettina Andrae

© privat

Wie stehst du zum Begriff »Klasse« und was bedeutet er für dich?
Klasse scheint mir heute vor allem eine Kategorie, die für Menschen spürbar wird, wenn sie nicht der oberen zugehören. Ich erinnere mich an ein Gespräch vor knapp zehn Jahren, in dem ich den Begriff ganz selbstverständlich benutzte und verwundert gefragt wurde, ob man das denn heute noch so sage. Damals begann ich darüber nachzudenken. Ich glaube, dass es der richtige Begriff ist, um über etwas zu sprechen, das es nicht mehr geben sollte.

Wie hat deine soziale Herkunft dich geprägt?
Als Kind ostdeutscher Akademiker im naturwissenschaftlichen und technischen Bereich, das einerseits Pastoren-Großeltern und andererseits Künstler-Großeltern hatte, habe ich schon im allernächsten Umfeld beinah alle Milieus unmittelbar zusammen erlebt, bis auf ein ausgesprochen kulturell-philosophisches. Auch deshalb hat mich Letzteres vermutlich lange am meisten interessiert.

Wärst du lieber in ein anderes soziales Milieu geboren worden? Wenn ja, in welches?
Nein, eigentlich nicht. Ich schätze die Erfahrungen sehr, die ich aufgrund meiner Herkunft gemacht habe.

Warum setzt du dich mit dem Thema auseinander?
Weil ich glaube, dass es den Kern aller menschengemachten Ungerechtigkeiten darstellt.

Welche Bücher, Musik, Filme kannst du zu dem Thema empfehlen?
Die Bücher Die Jahre, Die Scham und Der Platz von Annie Ernaux und beim Film im Grunde alles von Ken Loach.

Bettina Andrae, geboren in Ost-Berlin. Literaturstudium und Verlagsarbeit, heute systemischer Life- und Karriere-Coach v.a. für Künstler und weibliche Führungskräfte. Schrieb für die Berliner SPD den Antrag, Klassismus als Diskriminierungskategorie in die Landesgesetze aufzunehmen.


Elisa Aseva

© privat

Wie stehst du zum Begriff »Klasse« und was bedeutet er für dich?
klasse verstehe ich nicht zuerst als die beschreibung einer geteilten identität oder kultur. die kann sich mal hier oder dort ergeben, oder auch einfach nicht (klasseneffekt). zur klasse gefasst sind wir durch den verkauf unserer arbeitskraft, getrennt durch die kraft von job positions + dem balsamisierenden elend der unwillkommenen, im osten, im süden. der grad der unfreiheit ist nicht gleich, nur die wahl ist es: in ihr verbleiben oder zum gemeinsamen interesse finden. was dieses gemeinsame interesse sein soll? es trägt einen namen – klassenkampf. weshalb sonst von klasse reden?

Wie hat deine soziale Herkunft dich geprägt?
Sehr.

Wärst du lieber in ein anderes soziales Milieu geboren worden? Wenn ja, in welches?
kein zwang zur arbeit, keine gewalt. gutes essen, 3 kinder bekommen + mich aus deutschland verabschieden. muss man dafür reich sein? glaube ja, aber habe keine ahnung, was das heißt 🤷🏾‍♀️. am liebsten wäre ich in ein wurzelloses, technikfreundliches kommunistisches milieu hineingeboren worden aber ohne allzuviel streit.

Warum setzt du dich mit dem Thema auseinander?
egoismus + liebe

Elisa Aseva veröffentlicht ihre Kurztexte auf Facebook, sie entstehen in Mittagspausen und Feierabendsituationen und bleiben im Rohzustand: Schreiben als Abschöpfprodukt des Alltags einer ungelernten Arbeiterin.


Senthuran Varatharajah

© Holm Uwe Burgemann

Wie stehst du zum Begriff »Klasse« und was bedeutet er für dich?
Ich stehe im Begriff Klasse. Und dieser Begriff bedeutet für mich: das Bewusstsein für soziale Ungleichheit; für soziale Ungerechtigkeit.

Wie hat deine soziale Herkunft dich geprägt?
Auch meine soziale Herkunft formte meinen Körper, meine Sprache, mein Denken.

Wärst du lieber in ein anderes soziales Milieu geboren worden? Wenn ja, in welches?
Nein.

Warum setzt du dich mit dem Thema auseinander?
Weil es keine Alternative gibt.

Welche Bücher, Musik, Filme kannst du zu dem Thema empfehlen?
Im Moment: Annie Ernaux – Die Scham.

Senthuran Varatharajah, geboren in Jaffna, Sri Lanka, Schriftsteller und Essayist, wurde für sein Romandebüt »Vor der Zunahme der Zeichen« (2016) vielfach ausgezeichnet. 2021 erscheint sein zweiter Roman »Rot (Hunger)«.


Let’s talk about class #5

Am 5. November sind Bettina Andrae, Elisa Aseva und Senthuran Varatharajah zu Gast im ACUD. Sie sprechen mit Daniela Dröscher und Michael Ebmeyer über Herkunft und Vereinnahmung, über Versehrtes und Verkehrtes, über Lohnarbeit und Lebenslügen.

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