Seit ein paar Monaten tummeln sich auf meiner Couch ein paar Literaturzeitschriften. Ich mag diese kurzweilige Lektüre von Literatur vor allem auf meinem Weg zur Uni in der U-Bahn. Die Zeitschriften sind oftmals leichter und platzsparender als dicke Hardcover-Bücher und deshalb die besten Reisebegleiter, wenn man noch anderen Kram mitschleppen muss. In der letzten Woche begleitete mich die dritte Ausgabe der Prisma aus Göttingen.
Nachdem ich im letzten Jahr für sechs Monate ein Volontariat in Göttingen absolviert hatte, ist mir die Stadt mit ihren Menschen doch ein wenig ans Herz gewachsen. So kam es, dass ich auf die Literaturzeitschrift Prisma – Zeitblatt für Text & Sprache aufmerksam wurde. Ebenfalls seit letztem Jahr, genauer seit letztem Sommer, erscheint die Göttinger Zeitschrift im Abstand von sechs Monaten. Die Herausgeber sind Maximilian Meier, Sven Daum und Bastian Denker. 500 Druckexemplare werden pro Ausgabe in Göttingen verteilt, kostenlos zum Mitnehmen. Wer keines abbekommt, muss aber nicht traurig sein. Es gibt zusätzlich einen Online-Download.
Ich halte nun also schon die dritte Ausgabe der Prisma in den Händen und bin sofort vom praktischen Format begeistert. Aber auch der Inhalt kann sich sehen lassen. Vor allem die Texte von Karen Köhler und Jan Wagner überzeugen. Köhler erzählt in ihrer Kurzgeschichte Take This Waltz von einer Frau und einem Mann, die beide früher einmal ein Pärchen waren und sich nun nach längerer Zeit wiedersehen. Die kleine Geschichte wird aus der Sicht der Frau beschrieben. Das Treffen lässt in ihr wieder alte Gefühle aufkeimen, dabei spielen Nostalgie und Melancholie eine entscheidende Rolle.
Jetzt, Jahre später, sitzen wir zum ersten Mal seit dem Scherbenhaufen wieder nebeneinander. Ich ärmellos und meine Füße baumeln nackt, die Schuhe liegen kreuz und quer, deine und meine.
Die Erzählerin erinnert sich an Szenen aus der gemeinsamen Beziehung und merkt, dass es sie immer noch hinzieht zu diesem Mann, mit dem sie am Ufer auf der Mauer sitzt. Als sie beschließt, ihm das zu sagen, erscheint da plötzlich eine andere Frau und zerstört die Illusionen der Erzählerin.
Diese Geschichte hat mich sofort in ihren Bann gezogen. Karen Köhler erzeugt in Take This Waltz eine angenehm ruhige Grundstimmung, die immer wieder durch ungewöhnliche sprachliche Bilder aufgebrochen wird. Ihr Erzählton ist wirklich besonders und hat mich sofort mit der Ich-Erzählerin mitfühlen lassen. Ich bin nach diesem kleinen Schmankerl auf jeden Fall bereit, mir Karen Köhlers Erählungsband Wir haben Raketen geangelt zuzulegen.
Mein zweites Highlight aus der Prisma ist ein Gedicht von Jan Wagner mit dem Titel weißkohl. Genau um dieses Gartengemüse geht es dann auch in den folgenden Versen. Meine Lieblingsstrophe ist die dritte:
die wie der weißkohl glatt,
doch seltsam ist: wie jedes blatt
sich übers nachbarblatt geschoben hat,
Ich finde hier die Art der Betrachtung sehr interessant. Gern esse ich Sauerkraut oder Kohlrouladen und ich weiß auch ganz genau, wie so ein Weißkohl aussieht. Doch habe ich ihn mir noch nie näher vor Augen geführt. Es ist doch schon erstaunlich, wie kompakt die Natur dieses Gemüse erdacht hat. In Zeiten der abnehmenden Aufmerksamkeitsspanne, tut es ganz gut, mal wieder über so etwas Bodenständiges und Essenzielles wie die Beschaffenheit des Weißkohls nachzudenken. Ein Gedicht über den Wirsing wäre auch toll. Vielleicht sollte ich mich mal daran ausprobieren… aber vielleicht auch nicht.
Die restlichen Beiträge der Prisma #3 habe ich zwar auch gelesen, muss aber leider zugeben, dass sie mich nicht sonderlich überzeugt haben. Dies ist vielleicht der Tatsache geschuldet, dass die Zeitschrift noch sehr jung ist und sich wohl erst etablieren muss im Literaturbetrieb. Trotzdem ist beim Lesen zu merken, wieviel Herzblut und Kreativität in diesem Projekt steckt. Neben der Gestaltung gefällt mir besonders die Paginierung der Seiten. Hier haben die Herausgeber statt Ziffern die Buchstaben des Alphabets gewählt. Ein Heft ist also immer A-Z-lang, eine schöne Idee.
Im Dezember wird dann hoffentlich die vierte Ausgabe erscheinen und ich bin schon ganz gespannt auf die neuen Texte.
Die Prisma ist ein hübsches kleines Literaturmagazin, das auf jeden Fall noch viel Potenzial in sich trägt.
Annahmeschluss für Texteinsendungen zur Prisma #4 ist übrigens der 30. September 2016.
Ich liebe auch Literaturzeitschriften. Oftmals steckt in den kurzen Geschichten und Gedichten viel mehr als in einem ganzen Roman. Außerdem hat man immer viel Auswahl von ganz unterschiedlichen Sachen. Das Prisma kannte ich bisher nicht. Da du schreibst, dass man es online finden kann, werde ich es mir sicher einmal ansehen. Es gibt ja so viele unheimlich tolle etablierte Literaturzeitschriften. Aber auch gerade junge Zeitschriften haben sicherlich das Potential für tolle Entdeckungen und somit ihren eigenen Reiz.
Auf meiner nächsten Reise werden mich sicher auch ein oder zwei Zeitschriften begleiten, anstatt ein Buch, da platzsparender. Am besten finde ich das Format der Akzente. Absolut handtaschentauglich.
Liebe Grüße, Anja
Liebe Anja,
da kann ich dir nur zustimmen. Vor allem für die kurzen Strecken in der U-Bahn sind mit Literaturzeitschriften oftmals lieber als dicke Romane. Vor ein paar Jahren war mir auch noch gar nicht so bewusst, dass es tatsächlich so eine vielfältige Auswahl an Literaturzeitschriften in Deutschland gibt. Die Akzente mag ich auch sehr gern, aber auch Volltext und (ganz hip) Das Wetter. 🙂
Hast du außer der Akzente noch einen Literaturzeitschriftengeheimtipp für mich? Ich denke nämlich über ein Abo nach und will meine Wahl sorgfältig treffen.
Liebe Grüße
Juliane
Geheimtipp ist sicher schwierig, weil jede Zeitschrift doch irgendwie ihre eigene Atmosphäre hat, finde ich. Das muss man teilweise mögen vom Stil. Ich möchte mich ja gerne einmal wirklich durchtesten, durch alle verfügbaren Zeitschriften. Sind irgendwie gar nicht so wenig. Bisher war ich da auch eher beobachtend aus der Ferne, habe manchmal diese Zeitschriften gesehen, die Kunst und Literatur verbinden und war irgendwie nicht so angetan. Es war mir oft „zuviel“ der Kunst, zu abstrakt.
Erst in der letzten Zeit habe ich wirklich entdeckt, was wirklich in manchen dieser kleinen Schätze steckt.
Ich mag noch die Edit, weil sie auch Essays haben und etwas herausfordernder sind. Also die Edit ist ungefähr das, was ich mir unter moderner und durchdachter Literatur vorstelle. Da kann ich aber nie viele Seiten am Stück lesen, weil die Texte für mich so einladend sind zum Nachdenken, analysieren und wirken-lassen.
Der Erker soll auch gute Literatur bieten, habe jedoch noch keine Erfahrungswerte. Und Projekte wie Seitenstechen finde ich toll, ganz neu, aber schaut irgendwie innovativ aus.
Liebe Grüße, Anja
Liebe Anja,
na, da sind doch schon ein paar Zeitschriften dabei, die ich noch gar nicht kannte. Die Edit mag ich auch gern, aber Erker oder Seitenstechen habe ich bisher noch gar nicht gehört. Da werde ich mich in nächster Zeit mal reinlesen.
Ich habe auch überlegt, auf meinem Blog eine eigene Kategorie zum Thema Literaturzeitschriften zu öffnen. Das ist bestimmt interessant.
Liebe Grüße und vielen Dank für die Anregungen
Juliane
Ich habe auf meinem noch sehr frischen Blog, auch die Kategorie Literaturzeitschriften. Bisher habe ich nur „Der Poet“ näher betrachtet, aber ich möchte auch gerne noch mehr besprechen. Bücher werden unzählige Male rezensiert, aber Literaturzeitschriften bekommen so gut wie keine Aufmerksamkeit, das finde ich sehr schade.
Außerdem finde ich immer sehr interessant, was andere Menschen in den Texten sehen. Ein Blog fördert ja immer den Austausch und ich finde über Literaturzeitschriften kann man sich hervorragend austauschen. Ich würde mich freuen, wenn du noch mehr Hefte vorstellen würdest 🙂 Zu dem jede Ausgabe ja auch wirklich anders ist, selbst von der gleichen Zeitschrift.
Liebe Grüße, Anja
Das stimmt, zwei Ausgaben ein und derselben Literaturzeitschrift können sehr unterschiedlich sein. Deshalb weiß ich auch immer nicht, ob ich dem Spektrum der jeweiligen Zeitschrift gerecht werde, wenn ich nur eine Ausgabe vorstelle und bewerte. Aber vielleicht könnte man sich ja zwei Ausgaben pro Jahr anschauen, je nachdem, wie oft die Zeitschrift erscheint.
Also du siehst, da wird bestimmt noch mehr zu Literaturzeitschriften auf meinem Blog kommen. Bin auch schon gespannt auf weitere Beiträge von dir in dieser Rubrik! Die nächste Ausgabe von „Der Poet“ werde ich mir wohl mal zulegen. 🙂
Liebe Grüße
Juliane
Tatsächlich hat Àxel Sanjosé bereits im Jahre 2003 im Rahmen seiner lebensmittellyrischen Betrachtungen dem Wirsing ein poetisches Denkmal gesetzt. Nachzulesen hier: http://www.titanic-magazin.de/heft/klassik/2003/oktober/fachmann7/
Hallo ambulatrix,
der Wirsing etabliert sich wohl zunehmend in der Lyrik. Gefällt mir! 🙂
Liebe Grüße
Juliane