Seit 2011 ist in Syrien Bürgerkrieg. Über sechs Jahre dauert er bereits an, eine kaum vorstellbare Zeit. Die Graphic Novel Freedom Hospital von Hamid Sulaiman erzählt von einem geheimen Krankenhaus mitten in Damaskus. Einem Ort, an dem die verschiedensten Gestalten zusammenkommen.
Sechs Jahre sind eine verdammt lange Zeit. Kaum vorstellbar, diese Zeit im Krieg zu verbringen. Noch dazu mit beinahe täglich wechselnden Fronten, immer neuen Gruppierungen und zunehmend internationalen Kriegsparteien mit unklaren Zielen und Hintergedanken. Den Überblick zu behalten ist praktisch unmöglich, zu spärlich sind die Nachrichten, die aus dem zerstörten Land kommen, zu oft sind sie taktische Schachzüge von einer der Parteien.
Kein Wunder also, dass in den letzten Jahren Millionen von Menschen aus Syrien geflohen sind, um sich und ihre Familien in Sicherheit zu bringen. Sicherheit vor staatlicher Verfolgung und Willkür, Sicherheit vor islamistischem Terror, Sicherheit vor Bombenangriffen.
Vor Ersterem, der staatlichen Verfolgung und Folter, floh auch Hamid Sulaiman nach einer längeren Inhaftierung in Damaskus. Freedom Hospital ist sein Versuch, auf doppelte Weise mit seinen Erlebnissen umzugehen: Zum einen eine ganz persönliche Verarbeitung seiner Erfahrungen von Verfolgung und Krieg, zum anderen ein Versuch, die Wirren des Kriegs in Syrien für die Leser*innen seiner Graphic Novel ein klein wenig verständlicher zu machen.
Die Handlung folgt der jüngeren Syrerin Yasmin, die in Damaskus das titelgebende Freedom Hospital betreibt. Ein geheimes Krankenhaus, in dem Hilfsbedürftige aller Seiten betreut werden. Unter widrigsten materiellen Umständen, aber mit einem wachen Verstand und nicht totzukriegendem Humor widersetzt sich die Belegschaft des improvisierten Krankenhauses den beständigen Gefahren und Erschütterungen.
Hier tummeln sich die verschiedensten Gestalten: Neben der aufgeweckten und emanzipierten Yasmin treffen wir Dr. Yazan, den einzigen wirklichen Arzt des Krankenhauses, Abu Taysir, einen Milizführer der Freien Syrischen Armee, den Dschihadisten Walid Abu Qatada, das Liebespaar Zahabiah und Hawal, sie aus einer konservativen sunnitischen Familie geflohen, er ein hypochondrischer Philosophiestudent, und viele mehr. Ein bunt durchmischter Haufen, der genügend Stoff für größere und kleinere Auseinandersetzungen im Hospital bietet, und gleichzeitig auch einen kleinen Querschnitt durch die syrische Gesellschaft zeigt.
In eindringliche Bildern schildert Sulaiman den Alltag im Hospital, wobei der Fokus immer wieder nach außen schwenkt. Fernseh- und Videobilder nutzt Sulaiman, um eine beklemmend reale Atmosphäre zu schaffen, die die Stimmung in der syrischen Hauptstadt ein klein wenig nachvollziehbar macht.
Durch den Humor und eine gewisse Situationskomik wird die düstere Grundstimmung dabei immer wieder etwas aufgelockert. Der zeichnerische Stil in Freedom Hospital trägt auch einiges zu seiner dichten Atmosphäre bei: Die einfarbigen Tuschezeichnungen, die tagsüber mit schwarz auf weißem Hintergrund, nachts mit weiß auf schwarzem Hintergrund gezeichnet sind, changieren zwischen groben Strichen und scharfen Details und rücken damit immer bestimmte Dinge klar in den Fokus. Der starke Schwarz-Weiß-Kontrast sorgt dabei für eine unbarmherzige Schärfe in der Darstellung.
Gelegentlich durchbrechen bei besonders wichtigen Handlungspunkten ganz- oder gar doppelseitige Bilder den Fluss der kleinen Kacheln. Diese großen Darstellungen sind meist sehr beeindruckend, einige nutzen auch Zitate bekannter Kunstwerke wie La Danse von Matisse, um noch mehr Kontext zu sammeln. Leider wirken die Figuren hin und wieder etwas grobschlächtig gezeichnet und die Darstellung von Emotionen nicht sehr feinfühlig.
Letzteres gilt auch für die Dialoge. Sie wirkten auf mich an einigen Stellen unbeholfen und hölzern, besonders dann, wenn komplexere Hintergrundgeschichten oder Zusammenhänge erzählt werden sollen. Aber vielleicht ist sich an diesen Stellen auch mein in erster Linie durch Literatur, Filme und Serien geschultes Leserauge selbst im Wege. Denn meine Erfahrungen mit Graphic Novels halten sich sehr in Grenzen, ich habe bisher lediglich Alois Nebel von Jaromír „Jaromír 99“ Švejdík und Jaroslav Rudiš gelesen. Dies ist zeichnerisch und erzählerisch komplett anders gelagert und daher wohl auch kaum ein Vergleich.
Nichtsdestotrotz gelingt es Hamid Sulaiman in Freedom Hospital, ein eindringliches Bild des Bürgerkriegs in Syrien zu zeichnen. Die Graphic Novel illustriert glaubhaft, wie der Alltag der Menschen in Damaskus und anderen Teilen des Landes durch den Krieg geprägt und ein normales, geregeltes Leben größtenteils unmöglich gemacht wird. Es schildert damit auch die Zustände, die eine der größten Fluchtbewegungen in den letzten Jahren ausgelöst haben und weiterhin fortbestehen.
Auch die vielen verschiedenen und wechselnden Kriegsparteien und ihre Hintergrundgeschichten werden zumindest ein klein wenig beschrieben. Denn clever bezieht Sulaiman nicht nur die direkt beteiligten Gruppen und deren Motive immer wieder mit ein, sondern bezeichnet auch die Waffen und deren Herkunft genau. Er macht so sichtbar, dass Industrieländer wie Deutschland, Frankreich, Russland und die USA durch eine kaum regulierte Praxis von Rüstungsexporten Konflikte, die weit vor der eigenen Haustür liegen, indirekt befeuern.
Der Grundtenor des Buchs bleibt dabei aber trotz aller Grausamkeit und Gewalt ein durchweg positiver. Das Freedom Hospital ist ein Ort, der mitten in einem tobenden Bürgerkrieg Menschen aller Lager zusammenbringt und an dem geholfen wird, mit was auch immer gerade verfügbar, und wo auch immer es gerade notwendig ist. Mir scheint, dass sich die internationale Gemeinschaft von diesem kleinen Ort eine große Scheibe abschneiden könnte.
Hamid Sulaiman
Freedom Hospital
Aus dem Französischen von Kai Pfeiffer
Hanser Berlin
ISBN: 978-3-446-25508-1
am 30.1.2017 erschienen
Hätte ich verpasst, danke.
Sehr gern, freut mich!