Am vorletzten Samstag waren Stefan und ich auf dem Poetree in Göttingen. Wie schon in den beiden letzten Jahren zeigte das kleine Lyrikfestival, wie verschieden Poesie ausgelegt und performt werden kann.
Das Poetree findet seit 2015 einmal jährlich in Göttingen statt und vereint die verschiedensten Lyriker*innen und Lesungsformate. Im ersten Jahr wurde das eintägige Lyrikfestival noch im Cheltenhampark gefeiert. Die Kombination aus den Bäumen im Park und der Poesie ergab dann den schönen Titel „Poetree – Poesie unter Bäumen“. Letztes Jahr hat das Wetter leider nicht mitgespielt, weshalb die Veranstaltung ins Literarische Zentrum Göttingen verlegt wurde. In diesem Jahr wurde vorausschauend direkt eine ganz andere Location gewählt, das dots. Eine sehr gute Wahl, wie wir finden. Sehr idyllisch zwischen den ganzen Fachwerkhäusern der Göttinger Innenstadt bot der Innenhof der Bar eine gemütliche und offene Atmosphäre zugleich. Echte Bäume gab es dort zwar nicht, aber es wurde sehr kreativ mit Baumdeko auf der Bühne nachgeholfen. Sowieso war alles sehr liebevoll gestaltet, sodass man sich einfach wohlfühlen musste.
Einer meiner Lieblingsorte auf dem Poetree war ganz klar das Büchertauschregal. Hier konnten aussortierte Bücher gegen neue getauscht werden. Stefan hat auch drei seiner Bücher hineingestellt und ich habe mir drei neue herausgenommen. Das war ein ziemlich guter Deal für mich.
Veranstaltet wurde das Poetree vom Literarischen Zentrum und kuratiert, organisiert und durchgeführt von Daniel Frisch, Gesa Husemann, Marisa Rohrbeck und diversen Helfer*innen. Stefan hat sich an diesem Tag beispielsweise um den Ton gekümmert.
Team-Slamedy mit Volker Strübing und Micha Ebeling
Los ging’s dann mit den zwei Poetry-Slammern Volker Strübing und Micha Ebeling, die mit ihren ganz witzigen Texten das Poetree eröffneten. Zweimal schon gewannen die beiden bei den deutschsprachigen Meisterschaften des Poetry Slams den Meistertitel im Teamwettbewerb. Das merkte man den Slammern auch an, jede Pointe saß perfekt.
Soundpoesie mit Cia Rinne
Die Lyrikerin Cia Rinne begeisterte die Besucher*innen mit ihren Klanggedichten, die sie sehr eindrucksvoll und vor allem melodisch vorgetragen hat.
Metaplausch mit Tristan Marquardt
Nachdem Tristan Marquardt einige seiner Gedichte vorgetragen hatte, unterhielt er sich mit Gesa Husemann und Marisa Rohrbeck über die Rolle und Sichtbarkeit der Lyrik im Literaturbetrieb. Das Fazit war durchaus positiv: Die Lyrik, und noch viel mehr die vielen Lyriker*innen sind viel mehr auf Lesungen und Festivals unterwegs, als dies noch vor Jahren der Fall war. Auch die Zahl der Veröffentlichungen ist gestiegen, und zahlreiche Preise für Jan Wagner, darunter der Büchner-Preis in diesem Jahr, sprechen auch eine deutliche Sprache für die Lyrik.
Lyrisches Speeddating
Das „Lyrische Speeddating“ funktioniert nach dem ähnlichen Prinzip wie das Lesungsformat „Auf Inseln“ auf dem Prosanova. Für zehn Minuten konnten wir uns zu einem oder einer der Autor*innen gesellen und uns lyrisch verwöhnen lassen oder aber Fragen an die Künstler*innen stellen. Nach diesen zehn Minuten ertönte dann der Gong und es ging zur nächsten Lyrikinsel. Ein wunderbares Format, das ich immer wieder und in allen Varianten bereichernd finde!
Songpoesie mit Michael Fehr und Manuel Troller
Kommen wir nun zu einem meiner Highlights. Stefan und ich fanden Michael Fehr ja auf dem Prosanova schon unglaublich toll. Aber in Kombination mit dem Musiker Manuel Troller hat er das beim Poetree noch einmal getoppt! Ich kann es gar nicht richtig beschreiben und rate euch nur: Ihr müsst dieses Duo einfach mal live erleben! Fehrs Stimme ist unglaublich eindringlich und kraftvoll. Wie er dann zu Trollers Gitarrenklängen seine oft scheinbar einfachen Erzählungen vorträgt, ist sehr beeindruckend und zugleich eine der für mich interessantesten Spielarten von Poesie. Ich bin hin und weg und werde mir so schnell wie möglich Fehrs Erzählungsband Glanz und Schatten zulegen.
Als kleinen Vorgeschmack und für einen ersten Eindruck gibt es hier noch ein Video der beiden:
Graphic Poetry mit Safiye Can
Den krönenden Abschluss gestaltete Safiye Can mit ihren oft konkreten, oft nachdenklich stimmenden, aber vor allem wunderbar melancholischen Gedichten. Sie las aus ihrem Lyrikband Die Kinder der verlorenen Gesellschaft. Auf eine Leinwand wurden dazu kleine Grafiken projiziert, die auch ihren Gedichtband schmücken und Cans Lyrik visuell untermalen.
FAZIT
Wie auch im letzten Jahr und für Stefan sogar schon im vorletzten war es uns wieder ein Fest, den sorgsam ausgewählten Künstler*innen auf dem Poetree zu lauschen. Bei diesem Lyrikfestival in Göttingen stimmt einfach alles und vor allem die Mischung der Beitragenden. Wer also bisher dachte, Lyrik sei schwer zugänglich, der darf sich hier Jahr für Jahr vom Gegenteil überzeugen lassen.