In ihrem Debütroman Blaupause (Hanser) schildert Theresia Enzensberger die Weimarer und frühen Dessauer Jahre des Bauhaus aus den Augen der angehenden Architektin Luise Schilling. Sie lässt damit nicht nur ein Stück (Architektur-)Geschichte lebendig werden, sie schreibt auch den Roman einer Emanzipation.
Im Büro mit Gropius. Ein Traum wird wahr für Luise Schilling, Tochter aus gutem Berliner Hause, die gegen den Willen ihrer Eltern ans Bauhaus geht, um Architektin zu werden. Sich ihren Traum davon zu erfüllen, Häuser zu bauen, um Menschen ein gutes Leben darin zu ermöglichen. Bauen für die Menschen, der ureigene Grundgedanke des Bauhaus.
Gropius stellt sich als überarbeiteter, aber in kurzen Momenten der Konzentration auf sein Gegenüber durchaus charismatischer und wohlwollender Professor heraus, er betrachtet Luises Mappe mit Zeichnungen beim Eintritt ins Bauhaus mit etwas höflichem, aber nicht unehrlichem Interesse. Doch vor dem Einstieg in die Architektur stehen die obligatorischen Grundkurse, und die leitet ein gewisser Johannes Itten.
Itten ist Anthroposoph, ein esoterischer Charismatiker, der einen Zirkel junger Leute um sich geschart hat. Ihnen bringt er die Lehren des Mazdaznan nah, fernöstlich angehauchter New-Age-Shit, würde ich sagen, andere würden es wohl Achtsamkeitslehren nennen. Beides furchtbar, sage wiederum ich, und auch Luise kann nur wenig mit den eigenwilligen Methoden und Inhalten anfangen. Aber dann steht plötzlich Jakob vor ihr, ein ebenso attraktiver wie bindungsunfreudiger junger Mann. Und schon steht Luise mit einem Bein im Kreise der Itten-Jünger.
Die Geschichte nimmt ihren Lauf. Das Bauhaus muss Mitte der 1920er Jahre von Weimar nach Dessau übersiedeln, wo die Bedingungen besser sind. Luise erlebt den Wechsel nicht selbst, ihre Eltern schicken sie auf eine Hauswirtschaftsschule, um einem Mann gefallen zu können und endlich zu heiraten. Sie muss fliehen, um dieser hauswirtschaftlichen Hölle zu entkommen und ans Bauhaus zurückzukehren.
In Dessau sind die Itten-Jünger nicht mehr so präsent, Itten selbst hat sich in die Schweiz abgesetzt. Doch Luise ist tief getroffen, da ihr – wie zuvor schon – eine architektonische Ausbildung nicht zugetraut wird. Dass sie nun in einem Freundeskreis gelandet ist, der sich in ausschweifenden Alkoholeskapaden ergeht, hilft da nicht unbedingt. Hermann, der ebenso exzentrische wie sprunghafte Drehpunkt der Clique, wird ihr fester Freund. Luise kämpft sich zurück in die Architekturklasse, doch sieht sie sich dort Mechanismen ausgesetzt, gegen die sie allein kaum ankommt.
Theresia Enzensbergers Debüt Blaupause nimmt uns Leser*innen an die Hand und lässt uns die Welt des Bauhaus der 1920er Jahre durch die Augen Luises erleben. Sie erzählt in der ersten Person und im Präsenz. Die Sätze sind auf das Nötigste beschränkt, was der Geschichte ein unheimliches Tempo verleiht. So rast man mit Luise von Tag zu Tag – ich hatte schon eine ganze Weile kein Buch mehr gelesen, das mir regelmäßig den Schlaf raubte.
Das dumpfe Gefühl der Enttäuschung ist mir derart in Fleisch und Blut übergegangen, dass ich es kaum noch spüre. Zwei Monate sind seit unserer Nacht im Tempelherrenhaus vergangen. Zwei Monate schleiche ich nun schon um ihn herum, während der Vorkurs zum Alltag und die spätsommerlich Hitze zur Novemberkälte geworden ist.
Dies liegt auch an den verschiedenen Ebenen, die alle gleichsam ihre Anziehung haben. Da ist zum einen die Geschichte Luises, des jungen Mädchens, ja des fast klassischen Backfisch-Mädchens, das plötzlich weg von ihrer Familie auf dem Campus ist, mit unendlich viel Neuem, mit Cliquen, Unsicherheiten, und natürlich Jungs. Dann ist da das Bauhaus, die Stätte der architektonischen wie auch pädagogischen Erneuerung, mit Berühmtheiten wie Gropius, Klee, Kandinsky, Moholy-Nagy, Breuer, aber eben auch Itten und seinem Zirkel. Und dann sind da die goldenen 1920er Jahre, deren Glanz langsam stumpf wird, während die Nationalsozialisten immer mehr Zulauf erfahren.
Das Herzstück von Blaupause ist aber für mich die Geschichte Luise Schillings, eines fiktiven Mädchens, das in einer von Männern dominierten Welt lebt und auf bitterste Weise lernt, was dies bedeutet. Gerade in Zeiten von #metoo und den diversen Skandalen, die allmählich zur Enttabuisierung von Sexismus in den verschiedensten Zusammenhängen führen könnten, ist das Thema brandaktuell.
Man muss sich das einmal vorstellen: Die Geschichte von Blaupause spielt vor bald 100 Jahren. Was hat sich seitdem in Sachen Gleichberechtigung wirklich getan? Rechtlich gesehen bestimmt einiges, keine Frage. Auch Hauswirtschaftsschulen sind kein großes Thema mehr, zugegeben. Aber wie tief Sexismus immer noch in unserer Gesellschaft verwurzelt ist, zeigen die aktuellen Ereignisse ebenso wie jährliche Gleichstellungsberichte, die kaum mehr Fortschritte aufzeigen können.
Theresia Enzensberger ist damit ein ebenso mitreißendes wie aktuelles, ebenso erfreuendes wie betrübendes Debüt gelungen. Blaupause liest sich wie im Rausch und ließ mich nachdenklich zurück.
Blaupause
Hanser Verlag
256 S. | 22,– Euro
Erschienen am 12.7.2017