Die Rache der Mercedes Lima (Edition Büchergilde) ist ein Roman über männliche Obsession und auch ein wenig Politik. Der junge guatemaltekische Autor Arnoldo Gálvez Suárez verknüpft zwei Zeitebenen, deren Mittelpunkt immer eine Person bildet: Mercedes Lima.
Eines Tages erblickt Alberto Rodríguez Mena im Supermarkt eine Frau, deren Anblick ihm das Blut in den Adern gefrieren und ihm gleichzeitig den Schweiß auf die Stirn treten lässt. Er braucht ein wenig, um den Schock zu überwinden und sich zu erinnern, wen er da vor sich hat. Es ist Mercedes Lima, die er vor gut 25 Jahren das letzte Mal gesehen hat. Genauso wie seinen Vater, der kurz nach diesem letzten Mal unter dubiosen Umständen erschossen wurde.
Verarbeitet hat Alberto den Tod seines Vaters nie richtig, genauso wenig wie sein Bruder Daniel, benannt nach ihrem Vater, Daniel Rodríguez Mena. Dieser hat seit die beiden die Schule beendeten den Kontakt mit Alberto abgebrochen, nur bei Facebook sieht Alberto noch Fotos, die Daniel hier und da hochlädt. Die Familie ist nach dem Tod des Vaters stetig weiter zerbröckelt, hat Alberto keinen Halt mehr geben können.
Allzu tief gerutscht ist er aber nicht, er hat sich eine Existenz als Hochzeitsfotograf aufgebaut und führt eine ganz ordentliche Ehe. Doch die Begegnung mit Mercedes Lima bringt all das wieder ins Rutschen. Der kindliche unverarbeitete Schock, als er seinen Vater blutüberströmt und weinend kurz vor seinem Tod sah, ist mit einem Mal wieder da. Alberto stürzt sich Hals über Kopf in eine Obsession, verfolgt Mercedes Lima, umgarnt sie, dringt in ihr Leben ein. Er will erfahren, wie und warum sein Vater gestorben ist.
Da Die Rache der Mercedes Lima seine Anziehungskraft in erster Linie aus dem Fortschreiten des Plots zieht, sei über alle weiteren Details der Handlung hier der Mantel des Schweigens gebreitet. Wie schon im Teaser angedeutet geht es aber um zwei Obsessionen: die des Vaters Daniel und seines Sohnes Alberto. Beide Männer geraten immer tiefer in die Strudel sexueller Gier und Besitzansprüche, gegen deren Reißen sie nicht ankommen.
Die Geschichten der beiden werden dabei in zwei Handlungssträngen wiedergegeben. Einmal die Geschichte des Vaters, aus der dritten Person erzählt, und dann die seines Sohns, in der Ich-Perspektive gehalten und in steter Ansprache an dessen Bruder Daniel, dem er sein Schicksal erzählt. Spannungsvoll verschränkt Arnoldo Gálvez Suárez die beiden Stränge zu einem Krimi, der auf billige Cliffhanger und andere Knalleffekte gut verzichten kann. Formal ist das nichts besonderes, aber durchweg gut geschrieben (und übersetzt) allemal.
Heute Nacht habe ich von ihm geträumt, von unserem Vater. Ich habe Träumen nie viel Bedeutung beigemessen, doch überkommt mich das Gefühl – ein unbestimmtes Gefühl wie ein Nebel, der unter der Tür durchquillt –, dass dieser Traum genau das geschafft hat, unter der Tür durchzuquellen, die die Nacht vom Tag trennt; als ob ich ihn jetzt,wo ich wach bin und hoffentlich auch klar bei Verstand, immer noch weiterträume.
In vielen kleinen Seitensträngen bringt uns Die Rache der Mercedes Lima dabei auch und ganz nebenbei, ohne belehrend zu werden, ein wenig die Geschichte und auch die Gegenwart Guatemalas näher. Ich für meinen Teil hatte praktisch überhaupt keine Idee von der bewegten Geschichte des kleinen mittelamerikanischen Landes. Natürlich würde ich auch jetzt nicht behaupten, mich gut auszukennen, doch zumindest sind mir der jahrelange Bürgerkrieg, Militärputsche, Studentenproteste und offene Gewalt in der Mitte der Gesellschaft jetzt Begriffe, die ich mit Guatemalas Geschichte verbinde.
So ist Die Rache der Mercedes Lima ein ebenso fesselnder wie interessanter Krimi mit Anspruch, der ein wenig bekanntes Land en passant näherbringt und die Psychen seiner männlichen Protagonisten tief ausleuchtet. Denn kleiner Kritikpunkt soll nicht unter den Tisch fallen: Dass bis auf Mercedes Lima kein weiblicher Charakter auch nur ansatzweise tiefer charakterisiert wird, die Ehefrauen der Protagonisten bleich, fast mechanisch wirken, hat mich doch ein wenig gestört.
Weitere Rezensionen gibt es hier: Novelero | Bücherkaffee
Die Rache der Mercedes Lima
Aus dem guatemaltekischen Spanisch übersetzt von Lutz Kliche
Edition Büchergilde
336 Seiten | 25,– Euro
Erschienen im September 2017
Die Weltlese-Reihe ist großartig. Hab schon einige Romane daraus gelesen und DIE RACHE DER MERCEDES LIMA liegt auch schon bereit. Nach Deiner tollen Besprechung bin ich noch gespannter.
Beste Grüße von der Ostsee! Bookster HRO
Darfst du sein, war mein erster Roman aus der Reihe und ich werde sie jetzt nich mehr im Blick haben!
Beste Grüße!
Nicht mehr?
Noch nicht, aber was waren denn deine Tipps?
Achso, Tippfehler. Aus der Reihe fand ich bis jetzt GOD’S COUNTRY und MENSCHENTIER am besten. Die Kurzgeschichten in MAFEKING ROAD sind auch sehr gut.
https://booksterhro.wordpress.com/2014/07/18/percival-everett-gods-country/
https://booksterhro.wordpress.com/2016/07/04/indra-sinha-menschentier/
Seht gut, danke!