Blogbuster 2018 | Interview mit Alexander Raschle

Langsam steigt die Spannung beim Blogbuster 2018. Die Longlist steht, leider haben nicht alle Blogger*innen Manuskripte für sich gefunden. Umso glücklicher sind wir, dass der Roman Die grauen Kinder von Alexander Raschle bei uns gelandet ist. Ein Longlist-Porträt und das Blogbuster-Lesebuch sind bereits online und auch wir hatten noch ein paar Fragen an Alexander Raschle. Bei einem Treffen im Zürcher Literaturcafé Kosmos sprachen wir mit dem ehemaligen Offizier der Schweizer Armee über seinen Roman und Lieblingsbücher.

Mit Alexander Raschle im Kosmos Zürich

Im Literaturcafé »Kosmos« mit Alexander Raschle

DIE GRAUEN KINDER

Poesierausch: Wie kam dir die Idee zu deinem Text Die grauen Kinder? Und wie bist du auf den Titel gekommen?
Alexander Raschle: Die Erfahrungen meiner Militärzeit haben sich mit dem Réduit- und Gotthard-Topos vermischt. Der Stoff an sich ist ja nicht neu; darüber haben schon bekannte Schweizer Autoren geschrieben, Frisch, Kracht oder Dürrenmatt. Es wundert mich aber, dass es nicht mehr sind. Die unterirdische Schweiz, einzigartig in ihren Auswüchsen und so stark mit Geschichte und Symbolik aufgeladen, wurde literarisch bisher erst sehr vorsichtig erforscht. Da geht’s noch viel tiefer rein, ist noch viel mehr getarnt und versteckt, Sedimente von Ängsten und Geheimnissen.
Zum Titel: Zwischen Soldaten und Kindern bestehen seltsame Gemeinsamkeiten. Oft ist das Schweizer Militär in Zivilschutzanlagen unsichtbar unter Schulen und Kindergärten einquartiert. Und wenn dann in Zweierkolonnen marschiert und gesungen wird, wenn es gespieltes Töten und echte Tränen gibt, weiss man manchmal nicht mehr, welche oben und welche unten sind.

Wie lang hast du an dem Roman gearbeitet?
Zwei Jahre.

Alexander Raschle: Die grauen Kinder | Festungsmuseum Heldsberg

Festungsmuseum Heldsberg © Alexander Raschle

Was hat dich angeregt, ein derart dunkles und beklemmendes Buch zu schreiben?
Ich würde gerne etwas Schöneres, Humorvolles schreiben, aber ich glaube, das ist mir nicht gegeben. Es ist einfacher, vielleicht auch angenehmer, sich im Dunkel des Menschen und seiner Welt zu verlieren.

Es geht im Roman viel um Gehorsam, sowohl im militärischen als auch sittsam-religiösen Sinn. Was interessiert dich an diesem Thema?
Auch hier wieder: Wir sind gehorsam von Kind an. Wir ahmen nach, was wir sehen, übernehmen Verhaltensweisen unserer Eltern, Vorgesetzten und Respektspersonen, werden von diesen Autoritäten belohnt oder bestraft, in welcher Form auch immer, bis wir selbst dasselbe dem Nächsten weitergeben, oder auch nicht. Die Sicherheit der menschlichen Gesellschaft und die Gnade Gottes wird uns aber nur geschenkt, wenn wir ihren Gesetzen wiederholt gehorchen. Arno Gruen schreibt, dass im Gehorsam als Lebenslüge keine wirkliche Verantwortung und kein eigenes Selbst entwickelt werden kann. Und das habe ich gesehen als Rekrut und als Zugführer in der Armee, als Sohn und als Vater zweier Kinder. Wie dieser sklavenähnliche Zyklus beschaffen ist, zu was er in letzter Konsequenz führen kann und ob Alternativen dazu möglich sind; all das finde ich es wert, darüber zu schreiben und nachzudenken.

Alexander Raschle: Die grauen Kinder | Festungsmuseum Heldsberg

Festungsmuseum Heldsberg © Alexander Raschle

Wir sehen Die grauen Kinder als Anti-Kriegs- oder Anti-Militärbuch. Würdest du uns zustimmen?
Ich würde es vielleicht nicht als solches verkaufen, aber natürlich lässt sich diese Kritik unschwer so herauslesen.

Inwieweit sind deine persönlichen Erfahrungen, die du beim Schweizer Militär sammeln konntest, in deinen Text mit eingeflossen?
Ich möchte nicht alles schlecht reden. Es gab grossartige Momente, ich würde es wieder machen und respektiere jeden, der Dienst leistet und an seine Grenzen geht, aus welchen Gründen auch immer. Gegen Ende aber habe ich es als grosse Belastung für mich und auch meine Familie empfunden. Wer Verantwortung für Menschen trägt, darf keine Fehler machen. Sie werden von oben noch von unten kaum verziehen, und für den Schuldigen gibt es kein Mitgefühl, auch wenn er sich für die anderen opfert. Dazu kam die letztliche Bedeutungslosigkeit all unserer Repetitionen und Anstrengungen. Diese Grundstimmung hat sich von Beginn an durch den Text gezogen, zusammen mit dem ebenso bedrückenden Ausgangsszenario; der Rückzug in den Bunker vor dem Hintergrund des kalten Krieges.

Was macht dir Hoffnung, dass unsere Gesellschaft nicht in ein ähnliches Szenario hineinläuft, wie es im Roman dargestellt wird?
Dass es Menschen gibt, die Elektroautos statt Kernwaffen auf Raketen setzen, sie zu neuen Planeten schiessen und nicht zum Nachbarn.

Alexander Raschle: Die grauen Kinder | Festungsmuseum Heldsberg

Festungsmuseum Heldsberg © Alexander Raschle

Die Erzählhaltung in Die grauen Kinder ist sehr distanziert, das Innenleben der Figuren bleibt uns größtenteils verschlossen. Wieso hast du diese Erzählstimme gewählt?
Hier hat sicher der Einfluss literarischer Vorbilder eine Rolle gespielt. Und für mich stimmt es einfach, auf diese Weise zu erzählen und nicht anders.

Gibt es für dich trotzdem eine Figur im Buch, die dir besonders am Herzen liegt?
Keine einzelne Figur, aber vielleicht das Kollektiv; diese allem gehorchende Kompanie als menschliche Gemeinschaft, eingeschlossen tief im Berg, mit all ihren Wünschen und Bedürfnissen, Geheimnissen, Unsicherheiten, den empfindsamen Träumen jedes Einzelnen, auf die es keine Antworten gibt und die nie erfüllt werden.

PERSÖNLICHES

Was machst du noch in deinem Leben außer zu schreiben?
Ich habe visuelle Kommunikation studiert, also gestalte ich viel; in Arbeit und Freizeit, mit unterschiedlichen Medien und Werkzeugen. Geschichten lassen sich auf viele Arten erzählen. Und die Familie nimmt natürlich viel Zeit in Anspruch.

Welche Rolle spielt das Schreiben darin?
Eines ergänzt das andere.

Welche sind deine Lieblingsromane und/oder -autor*innen? (Und haben sie dich in deinem Schreiben beeinflusst?)
Blood Meridian / Die Abendröte im Westen von Cormac McCarthy ist für mich eins der grössten Bücher, das von einem noch lebenden Autor geschrieben worden ist, und von ihm sprechen mich vor allem die Frühwerke an. Einige Autoren die ich gerne lese, beginnen mit C. Calvino, Conrad, Camus. Allgemein mag ich die Klassiker, es gibt einen Grund, warum sie es sind.


Wir danken Alexander Raschle für das Interview und dafür, dass wir ein paar seiner Fotos aus dem Festungsmuseum Heldsberg hier zeigen dürfen. Und natürlich drücken wir unserem Autor weiterhin die Daumen für die Blogbuster-Shortlist, welche am 30. April 2018 verkündet wird.

Filed under Blog, Mischmasch

Ich bin im Niemandsland von NRW zwischen Tagebauten und Kraftwerken aufgewachsen, da gab es nur wenige Argumente gegen ausgiebiges Lesen, um der Tristesse zu entkommen. Dann ging es nach Aachen, später nach Köln, dann nach Göttingen und nun lebe ich in Berlin und arbeite als Buchhersteller. Nebenbei spiele ich noch in Bands, meine zweite Leidenschaft ist ganz klar die Musik! Oder doch Kochen und Essen? Schwer zu sagen.

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