Sprachlosigkeit ist ein Zustand, der in höchstem Schock eintritt. Ich habe bisher nicht viele Bücher gelesen, die mich erstmal sprachlos gemacht haben. Peach von Emma Glass (Nautilus) gehört ohne Zweifel dazu. Das Buch verhandelt auf drastische Weise eine Vergewaltigung, ohne dabei auf durchweg realistische Mittel zu setzen.
Vergewaltigung zählt immer noch zu den am stärksten tabuisierten Themen und den am wenigsten verfolgten Straftaten in Deutschland. Zum Glück ändert sich dies in der letzten Zeit, wenn auch sehr langsam. Bettina Wilpert nähert sich dem Thema in ihrem Debütroman nichts was uns passiert auf realistische Weise, angelehnt an die Form der Oral History. Damit werden verschiedene Perspektiven und Stimmen vorgezeigt, das Thema in einer gewissen Breite ausgeführt und bei aller Sympathie für die Vergewaltigte doch ein objektiver Ansatz versucht.
Ganz anders in Peach von Emma Glass. Der kurze Roman ist in Bewusstseinsstromtechnik geschrieben und lässt uns so nah an die Gedankenwelt der Protagonistin Peach heran, dass es weh tut. Die Unmittelbarkeit, mit der wir am Geschehen, das direkt nach ihrer Vergewaltigung einsetzt, teilhaben, ist erdrückend. Sie macht sprachlos. Die abgrundtiefe Verletzung, die Peach erlebt, der Riss, der ihrem jungen Leben und ihrem jungen Körper zugefügt wird, schwingt gerade am Anfang in jedem Wort mit. Denn auch die Worte sind zerrissen, die Sätze stocken, die Stimme versiegt wieder und wieder, rettet sich mal ins Stakkato, mal in Binnenreime.
Ich habe Angst. Ich reibe mir die Augen. Ich sehe ihn. Er schaukelt an der Laterne. Winkt mir mit seinem Wurstarm. Wurstfinger zucken an der Hand. Fettig glänzende Haut im orangen Licht. Lange Wurstbeine, die über das Pflaster schleifen. Dick. Fett. Schaukeln. Er. Schaukelt. Schau.
Er, das ist Maxe, der Vergewaltiger, der ihr später noch nachstellt und ihr Briefe schreibt. Mutet das Zitat an wie eine aus dem puren Ekel heraus geäußerte Beschreibung, ist dies in Peach erst auf einer höheren Ebene der Fall. Denn der Roman spielt in einer surrealen Welt, die an Fabeln erinnert. Diese Technik verweigert Vergleiche, setzt als real, was im realistischen Erzählen eine Analogie wäre. So ist Maxe tatsächlich eine labberige, stinkende, fettige Wurst, deren Geruch Peach noch Tage später an sich riechen, deren Fett sie noch Tage später an sich spüren wird. Peach selbst ist ein Pfirsich, mit verletzlicher Haut, aber hartem Kern. Ihr Freund Grün ein Baum, an den sie sich lehnen kann. Ihr Lehrer Pudding eine wabbelnde Masse, die morgens im Unterricht erst mal fest werden muss, und ihr kleiner Bruder ein gluckerndes süßes Baby aus Wackelpudding.
Dieses Surreale gibt dem Roman auch gleichzeitig eine höchst symbolische Ebene, auf der man ihn als Flucht einer aufs Tiefste verletzten Erzählinstanz lesen kann. Denn wie Worte für etwas finden, was mir schon beim Lesen den Atem nimmt, wie etwas erzählen, was kaum in Worte zu fassen ist? Die Form stärkt hier dem Inhalt den Rücken, gibt halt und macht erzählbar, was den Atem verschlägt. Dies führt keineswegs zu einem Verlust der eingangs erwähnten Unmittelbarkeit, ganz im Gegenteil. Es führt, so eigenartig das vielleicht klingen mag, in den Mittelpunkt des Schmerzes und macht ihn erfahrbar für uns Leser*innen. Ob dies das Buch leichter erträglich macht, als es eine Schilderung mit realistischen Mitteln gewesen wäre, wage ich demnach auch zu bezweifeln.
Peach ist ein Roman, wie ich ihn lange nicht gelesen habe. So eigen, so mutig, so verletzlich und doch stark lesen sich die gerade einmal 120 Seiten, dass es mir zunächst schlicht die Sprache verschlagen hat. Ein Roman über Vergewaltigung, wie ich ihn nie erwartet hätte und der mich dementsprechend auch auf dem falschen Fuß erwischt hat. Was großartig ist. Ein Kunstwerk aus tiefstem Schmerz, vortrefflich von Sabine Kray übersetzt.
Weitere Rezensionen findet ihr u. a. von Sophie Weigand auf Literaturen und von Mithu Sanyal im Deutschlandfunk.
Aus dem Englischen übersetzt von Sabine Kray
Edition Nautilus
128 Seiten | 19,90 Euro
Erschienen im März 2018
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Wow… Ich glaube ich hätte nicht die Kraft, das Buch durchzulesen.
Es ist definitiv harter Tobak! Gleichzeitig bringt das fabelhafte Element auch ein kleines bisschen Distanzierung herein. Leicht wird das Buch dadurch aber beileibe nicht!