Es ist eher selten, dass ich Bücher annehme, die mir Autor*innen höchstpersönlich anbieten. Bei Josephine Frey und ihrem Debüt Im Enddefekt (Unsichtbar Verlag) war das anders und … je ne regrette rien.
Über Instagram hat mir die junge Autorin von ihrem Buch berichtet und ich war sofort interessiert. Als ich Im Enddefekt dann aus meinem Briefkasten fischte, war ich gleich hin und weg von der Gestaltung dieses Bandes. Die Schweizer Broschur, ein blassblauer Anschnitt, abgerundete Ecken sowie liebevolle und unglaublich passende Illustrationen von Clara Deitmar konnten mich rein äußerlich schon mal überzeugen.
Aber auch die inneren Werte stimmen. Im Enddefekt besteht aus fünfzehn Kurzgeschichten, die in drei größere Blöcke und einem »Hidden Track« unterteilt sind. Die anderen Abschnitte sind mit Songtiteln von Bloc Party, Bright Eyes und The Weakerthans überschrieben – Bands, die ich sehr mag. Die einzelnen Blöcke befassen sich mit der Adoleszenz, der Beziehung zu den Eltern, wie sie sich verändert und immer wieder mit der Liebe. Vor allem mit der unglücklichen Liebe, mit Trennung und Liebeskummer.
Ganz passend habe ich den ersten Block über die Abnabelung von den Eltern an einem Wochenende in der Heimat gelesen. So wie alle Miniaturen in diesem Buch haben auch diese mich melancholisch gestimmt, aber auch ein wenig nostalgisch. Die ersten drei Geschichten haben mein 18-jähriges Ich wieder wachgerüttelt. Diese Zeilen zu lesen, war wie eine kleine Zeitreise zurück in meine späte Pubertät.
Und wenn in jeder Sekunde fünfzig Millionen Zellen in uns sterben, wie können sie dann behaupten, dass wir noch nichts über den Tod wissen?
Josephine Frey weist uns mit ihren Texten auch sehr genau darauf hin, dass wir mit dem Erwachsenwerden oft den Blick für das Besondere, für das Kleine verlieren. Auch hier musste ich daran denke, wie ich mit 16 jeden Zeitschriftenschnipsel meiner Lieblingsstars, sorgfältig in Klarsichtfolien abgeheftet, gesammelt habe. Oder wie ich meine »Erinnerungskiste« immer weiter mit Gegenständen, die besondere Momente symbolisierten, gefüttert habe. Heute sortiere ich nur noch aus, Minimalismus ist jetzt angesagt.
Vielleicht werden wir irgendwann erwachsen, aber wir versuchen unser ganzes Leben lang, Decken über Stühle zu spannen und andere in unsere Räuberhöhlen einzuladen.
Aber Im Enddefekt hat mich nicht nur nostalgisch gestimmt. Auch Traurigkeit und immer wieder Melancholie waren bestimmenden Gefühle beim Lesen. Es ist Josephine Freys Schreibstil, der diese starken Empfindungen hervorruft. Sie verwendet unglaublich starke Bilder und Metaphern, die gewohnte Zusammenhänge auf den Kopf stellen und sie in einen neuen Kontext setzen.
23:13 Uhr
Deutschsein: Dein Handtuch vorsichtshalber über mein Herz legen und dann erst nochmal die Umgebung erkunden.
Diese Sprache ist beeindruckend, vor allem für ein Debüt. Dennoch waren es mir persönlich streckenweise zu viele Bilder, die aufeinanderfolgten. Da blieb oft gar keine Verschnaufpause, um die einzelnen Metaphern erst mal zu verarbeiten. Deshalb würde ich auch empfehlen, das Buch nicht am Stück zu lesen, sondern sich immer mal wieder eine der Miniaturen zu Gemüte zu führen.
Am Ende haben mich die einzelnen Texte und deren Themen stark an Poetry Slams erinnert und sehr an Julia Engelmann. Allerdings sind Josephine Freys Texte sprachlich ausgereifter und anspruchsvoller. Auf poetische Art zeigt sie uns in ihrem Debüt eine Generation Ü20, die sich noch immer nicht gefunden hat – ein Must-Read für alle Melancholiker*innen unter euch!
Weitere Rezensionen findet ihr auf Paper and Poetry und I am Jane. Ein Interview mit Josephine Frey (übrigens ein Pseudonym) gibt’s hier.
Josephine Frey
Unsichtbar Verlag
122 Seiten | 16,90 Euro
Erschienen Anfang März 2018
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