David Garnett: Mann im Zoo

Was passiert, wenn sich ein Mensch zum Tier macht? Aus einer tiefen Kränkung heraus geht in Mann im Zoo von David Garnett (Dörlemann) ein Mann auf die andere Seite der Gitterstäbe des Londoner Zoos. Eine schöne Persiflage auf Sensationslust und Vorurteile in der westlichen Welt. Aber ein wenig auch auf die Lächerlichkeit der (männlichen) Liebe.

David Garnett: Mann im Zoo

Ein Paar im Londoner Zoo, schon lange zusammen, aber sie streiten. Vielleicht zu oft, in jedem Fall zu heftig, sodass sie ihm im Affekt an den Kopf schmeißt, er gehöre in den Zoo. Er, John Cromartie, ist zutiefst gekränkt davon, dass sie, Josephine Lackett, ihn offenbar für ein Tier hält – fast schon ein Ding, ohne Gefühle, ohne Persönlichkeit. In seiner Kränkung schreibt er noch am gleichen Abend an den Zoo. Er möchte wie jedes andere Tier ausgestellt werden. Nach kurzer Diskussion wird er aufgenommen – und zum Erfolg.

Wahre Massen ziehen in den Zoo, um das neue Tier zu sehen. »Homo sapiens, Mensch« steht auf dem Schild vor seinem Käfig. Cromartie ist in einem möblierten Zimmer mit drei Gitterwänden im Affenhaus untergebracht. Orang-Utan und Schimpansen in den Nachbarkäfigen werden grün vor Eifersucht. Die Besucher*innen zerreißen sich derweil das Maul über den ausgestellten Menschen, beschimpfen ihn, gaffen. Es kommt regelmäßig zu Tumulten, selbst die durchaus hohen Schranken der englischen Höflichkeit können die Gemüter nicht im Zaum halten.

David Garnett nimmt in seinem 1924 veröffentlichten kleinen Roman vor allem die Sensationslust aufs Korn. Wir sehen jeden Tag hunderte von Menschen auf der Straße, lässt sich aber einer in den Zoo sperren, rennen die Leute hin. Eine Sensation, ein Skandal! Endlich wieder etwas, worüber man sich überall auslassen kann. Gleichzeitig nimmt sich der Roman jedoch auch den Stolz des Mannes vor. Schon die kleine Redewendung seines Schwarms reicht aus, ihn zu drastischen Maßnahmen greifen zu lassen. Sein eigenes Leben praktisch zu beenden, sich einsperren zu lassen. Allein um ihr zu zeigen, dass sie so mit ihm nicht umgehen kann und er am längeren Hebel sitzt.

Und dann wäre da natürlich noch die philosophische Ebene von Mann im Zoo. Denn was unterscheidet eigentlich den Mensch vom Tier? Wieso ist es ein Politikum, einen Menschen im Zoo auszustellen, während es gemeinhin akzeptiert ist, Tiere ihr Leben lang in enge Käfige zu sperren und sie den Blicken der Besucher*innen schutzlos auszuliefern? Ohne zu weit abzudriften, spielt Garnett das Ganze einfach mal durch. Unter Fieber lässt er Cromartie träumen:

»Das Tier hat mir sein Zeichen aufgezwungen«, sagte er zu sich. »Es wird mich langsam auffressen. Für mich gibt es kein Entkommen mehr, und das eine wiegt so schwer wie das andere. Alles in allem ist es mir lieber, dass mich das Tier auffrisst, als dass ich derart viel aufgebe, zudem ekelt mich der Gestank meiner Mitmenschen.«

Mann im Zoo zeigt wunderbar leicht und ironisch, wie das Einziehen von Grenzen zwischen Menschen unmittelbar zu einer vollkommenen Veränderung der gegenseitigen Wahrnehmung führt. Die aus heutiger Sicht durchaus gestelzte, aber auch wunderbar authentische Sprache der verklemmten britischen 1920er Jahre unterstützt dies in einer schönen Selbstironie. Maria Hummitzsch hat hier ganze Arbeit geleistet, den sprachlichen Flair der Zeit einzufangen.

Dies schließt auch den – wiederum aus heutiger Sicht – heftigen Alltagsrassismus ein, der zum Schluss noch vorgeführt wird. Der Zoo möchte das Erfolgsmodell erweitern, das Affenhaus um ein Menschenhaus erweitern, darin Menschen aller »Rassen« ausstellen. Ist die Miteinbeziehung von Weißen hier noch grundsätzlich erfreulich, hört das bei der Darstellung des dunkelhäutigen Menschen auf. Dieser zieht in den Käfig neben Cromartie und wird als respektloser, unablässig redender, sich verbrüdernder, recht dummer Mann doch ziemlich klischeehaft dargestellt.

Dass Cromartie ihn verabscheut, liegt zwar in erster Linie an der plötzlichen Konkurrenz und nicht der Hautfarbe, wie der Erzähler noch beteuert. Bezeichnend scheint mir die Kombination aber für die Zeit durchaus – und nicht nur diese. Und bevor ich es vergesse: Triggerwarnung! Rassistische Sprache mit sehr vielen N-Worten muss man zum Schluss durchaus ertragen können.

Mann im Zoo von David Garnett ist eine zeitlose Parabel, der ihre Entstehungszeit tief eingeschrieben bleibt. Sie verhandelt ihre Themen mit Leichtigkeit, ohne trivial zu sein, in einer Sprache, die das Kolorit der 1920er Jahre in seinen guten wie schlechten Seiten glaubhaft lesbar macht.

David Garnett: Mann im Zoo Cover

David Garnett

Mann im Zoo*

Deutsch von Maria Hummitzsch

Dörlemann Verlag

160 Seiten | 17 Euro

Erschienen im Januar 2017


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Ich bin im Niemandsland von NRW zwischen Tagebauten und Kraftwerken aufgewachsen, da gab es nur wenige Argumente gegen ausgiebiges Lesen, um der Tristesse zu entkommen. Dann ging es nach Aachen, später nach Köln, dann nach Göttingen und nun lebe ich in Berlin und arbeite als Buchhersteller. Nebenbei spiele ich noch in Bands, meine zweite Leidenschaft ist ganz klar die Musik! Oder doch Kochen und Essen? Schwer zu sagen.

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