Juan S. Guse dreht in seinem zweiten Roman Miami Punk (S. Fischer) an ein paar Schrauben unserer vertrauten Welt, um eine eigene zu schaffen. Dort liegt sein Miami, in dem der deutschsprachige postmoderne Roman mal wieder einen großen Lichtblick erlebt.
Wenn wir von irgendetwas in der deutschen Gegenwartsliteratur gerade genug haben, dann sind es realistische Romane, die ganz nah an unserer Gegenwart sind. Ganz nah an der Welt, wie wir sie erleben. Das schafft Anschlussfähigkeit, Identifikationspotenzial, eben Nähe. Das ist nichts Schlechtes, die Welt braucht den Spiegel der Literatur, um sich selbst zu sehen. Juan S. Guse zerschlägt diesen Spiegel in Miami Punk mit spürbarer Lust, biegt und schiebt die Scherben zurecht. Aber nur ein wenig, irgendwie bleibt alles, wo es ist, und rückt doch ewig weit weg.
Aber fangen wir vorne an. Es wäre vermessen, einen Roman mit ewig vielen Erzählsträngen, Quellen und Texten aus seiner Welt nacherzählen zu wollen. Aber beschreiben lässt sich die Welt des Buchs doch eigentlich ganz gut. Im Prinzip verschiebt Guse eine Konstante unserer Welt, um seine eigene darauf aufzubauen. Er nimmt Miami das Meer, lässt es sich einfach zurückziehen, bis hinter die Bahamas. Einfach so. Nicht nur wir als Leser*innen müssen mit dieser durchaus mysteriösen Setzung leben; vor allem die Menschen in Guses Miami sind allem schutzlos ausgesetzt.
Auf verschiedenen Wegen erkundet Miami Punk seinen kleinen Mikrokosmos. So begleiten wir einen deutschen Counterstrike-Clan durch das wohl letzte Turnier der legendären Version 1.6 des Spiels. Wir lernen Robin kennen, eine Programmiererin, die beim Megakonzern Nowak ihr Geld verdient. Deren Freundin wiederum ist bei der Behörde 55, die den Rückzug des Meeres und dessen Folgen aufarbeitet. Was vor allem die Beobachtung des Kongresses bedeutet, einem Zentrum für Verschwörungstheorien, Esoterik, Mysterien – vielleicht auch einfach nur für Verzweifelte, die den Sinn in ihrem Leben verloren haben und ihn dort zu finden hoffen.
Darias Büro lag direkt neben dem der Leiterin der Behörde, Frau Bardmann. Es war klein, aber dank des Fensters nie dunkel. In Sichtweite thronte Rowdy Yates. Hätte sie ein Fernglas besessen, hätte sie die Tiermuster-Gardinen ihrer greisen Nachbarin in Turm-7 erkennen können. […] An der Pinnwand hinter ihrem Tisch hingen Darias Systemkarten sowie ihr eigenes Erklärungsmodell, an dem sie gerade arbeitete, voller Verbindungspfeile, Lücken und Fragezeichen. Beim Duschen dachte sie manchmal daran und hoffte auf einen wundersamen Einfall, der allem einen Sinn verleihen würde; aber meistens war sie zu sehr damit beschäftigt, Shampoo und Duschgel nicht zu verwechseln.
Ich könnte die Kette vermutlich ewig weiterführen, denn in Miami Punk ist alles verbunden. Wie es sich für einen postmodernen Roman gehört, füßeln alle Erzählstränge und Fragmente unter dem Tisch, was das Zeug hält, während sich über der knallbunten Tischdecke alle möglichst unbeteiligt anschauen. Immer wieder tuschieren sich nur die Hände beim Griff nach dem Brot oder beim Klappern mit dem Besteck.
Aber jetzt genug mit den schiefen Bildern und zur Sache. Miami Punk hat mich begeistert, und zwar über die volle Strecke von gut 650 Seiten. Es nimmt den Vibe der großen Postmodernen auf und macht ihn sowohl thematisch als auch sprachlich zu seinem eigenen Sound. Er ist dabei näher an Foster Wallace als an Pynchon, eher hell und knallig als dunkel und hermetisch, ohne dabei an Tiefe einzubüßen.
Die einzelnen Stränge und Texte zeichnen sich immer da durch ihre ganz eigene Sprache aus, wo es Ich-Erzähler sind oder Texte aus der Hand von Figuren. Die personal erzählten Teile gleichen sich sprachlich eher und halten den Laden zusammen. So ist Miami Punk im ganzen kein hermetischer Brocken, der sich über zehn Ecken zu einem Gesamtbild zusammenfügt, sondern eine klare Einheit, eine Welt für sich, die in vielen Facetten schillert. Dass Guse sich einige Griffe beim Worldbuilding verschiedenster Genre-Literatur abgeschaut hat, macht alles nur noch interessanter.
Erinnert das aber nicht an ein Buch, das vor gar nicht allzu langer Zeit rauskam, auch bei S. Fischer? Ja, Miami Punk schlägt in eine ähnliche Kerbe wie María Cecilia Barbettas Roman Nachtleuchten. Doch sie haben für mich verschiedene Ziele: Hebt Barbetta vor allem auf das Spiel der Zeichen ab und macht gerade das auch unglaublich gut, kommt Guse für mich mehr über den Inhalt und die Welt, die er damit erschafft. Dass mir seine Themen einfach näher sind, hat das Buch für mich deutlich leichter lesbar gemacht, auch wenn es alles andere als ein Spaziergang war.
Miami Punk hat einfach alles, was ich an Literatur liebe. Es ist bescheuert, witzig, intelligent, vertrackt, komplex, bunt, mysteriös und offen. Es erschafft eine eigene Welt, die eng an unsere gebunden ist, und doch ganz weit von ihr wegführt. Es biedert sich nicht an, ist bockig und widerborstig, erzeugt aber eine innere Wärme und Wohligkeit, in der ich mich gleich zu Hause gefühlt habe. Was will man mehr?!
Juan S. Guse
S. Fischer
640 Seiten | 26 Euro
Erschienen im Februar 2019
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[…] geht der Blick heute über den großen Teich. Zuvor schon überaus prominent und unfassbar gut in Miami Punk von Juan S. Guse, nun im Debütroman von Joshua Groß. Dessen kleiner Korbinian-Vorgänger Flauschkontraste hatte […]
[…] ergeben. Und wo wir schon bei Futter-Metaphern sind, möchte ich an dieser Stelle Stefan von Poesierausch […]