Friedemann Karig: Dschungel

Wenn Freundschaft und Rivalität nicht mehr zu unterscheiden sind, wird es toxisch. Friedemann Karig erkundet in seinem Debütroman Dschungel (Ullstein) eine Freundschaft, die nicht nur unter einem schlechten Stern steht.

Friedemann Karig: Dschungel

Eigentlich hätte alles gut sein können. Endlich zurück von der Arbeitsreise, endlich zurück in Leas Arme, in die eigene Wohnung, das Nest. Doch noch bevor das Auto auf dem Flughafenparkplatz erreicht ist, steht sie da. Die Mutter von Felix, seinem besten Freund, mit dem er praktisch wie ein Bruder aufgewachsen ist. Sagt ihm, dass Felix verschwunden ist. In Kambodscha. Und er muss Felix suchen, schon morgen muss er wieder fliegen.

Er stellt Felix über alles, so wie er es immer getan hat. Fährt. Steigt am nächsten Morgen in ein Flugzeug, trotzt allem, was dagegen spricht:

Ich steig die Treppe hinunter. Lea blieb oben stehen. Ich drehte mich unten um. Wir sahen uns noch einmal an. Ja, sie weinte vielleicht. Nein, ich sagte nichts mehr. Formten ihre Lippen noch ein paar Worte? Vielleicht wollte ich das auch nur sehen.

Und kommt in ein Land, das von einer Sippe Westler*innen bereist wird, die sich nicht für das Land interessieren. Denen eigentlich alles egal ist, außer einen guten Trip zu erleben und – auch wenn das vielleicht nicht alle selbst so sagen würden – sich selbst zu finden. Da verkommt ein brüchiges Land schnell zur Kulisse, das nach einem für die Bewohner ewigen Bürgerkrieg endlich einigermaßen zur Ruhe gekommen ist. Schnell eine improvisierte Infrastruktur für Touristen aus dem Boden gestampft hat. Hier ist es noch authentisch! Was auch immer das sein soll.

Dschungel ist der Debütroman von Friedemann Karig, der 2017 bereits mit dem Sachbuch Wie wir lieben von sich reden machte. Auch hier beweist er ein gutes Händchen für Struktur und Dramaturgie. Die Erzählung des namenlosen Erzählers beginnt mit einem Knall und gräbt sich dann in der Gegenwartshandlung immer tiefer ins weit entfernte Kambodscha, während ein zweiter Strang die Freundschaft zwischen ihm und dem verschwundenen Felix immer tiefer erkundet. Erst eher episodisch, dann immer fokussierter auf einen bestimmten Punkt hinarbeitend. So schafft es Dschungel, beständig Spannung aufzubauen, bis hin zum finalen Showdown auf den letzten Seiten.

Sprachlich ist das für einen Debütroman schon fast erschreckend routiniert und gut. Für meinen Geschmack zwar ein wenig zu pathetisch, ein wenig zu viel Innenperspektive des Erzählers, es wird einem immer ein wenig zu viel vorgekaut. Aber zum Glück eben nur ein wenig, sodass dies nicht zu sehr ins Gewicht fällt. Auch stilistisch war mir der Roman gerade am Anfang zu cineastisch, er schreit dort für mich geradezu danach, verfilmt zu werden, biedert sich etwas an. Zum Glück wird das mit der Zeit weniger bzw. subtiler, sodass der absolut gelungenen Unterhaltung nicht viel im Wege steht.

Denn das will Dschungel in erster Linie, und das gelingt auch wirklich gut: unterhalten. Ich habe den Roman schnell gelesen, er setzt geschickt Cliffhanger ein, um zum Ende hin einen immer stärkeren Sog zu erzeugen. Dabei vergisst Karig es aber nicht, auch Themen zu setzen, die über das eigentliche Abenteuer hinausgehen. Denn Dschungel ist zwar durchaus ein Abenteuerroman, verwehrt sich der Faszination des Fremden aber fast komplett. Zu negativ ist der Erzähler dem Reisen und den Reisenden gegenüber eingestellt, zu wenig Spaß hat er an seinem Trip.

Dafür gibt es ziemlich unpathetische Kritik an Tourismus, postkolonialen Strukturen und Umweltzerstörung. Höchst unbequemes Thema, gerade für Menschen wie mich, die auf der einen Seite vegan leben, viel Bio und regional kaufen, im Alltag nur mit Fahrrad und Öffentlichen unterwegs sind. Aber andererseits in schlecht isolierten Altbauten wohnen und doch ganz gerne Fernreisen machen. Horror! Dschungel liefert hier en passant gute Argumente, den eigenen Lebensstil nochmal zu überdenken (ich empfehle dazu auch immer wieder gerne dieses Buch hier!).

Und natürlich geht es im Zentrum von Dschungel in die Tiefe einer Männerfreundschaft. Einen Bechdel-Test braucht man hier gar nicht erst anzusetzen, es geht wirklich ausschließlich um den Erzähler und Felix und ihre Beziehung zueinander. Dabei wird über die Länge des Romans immer klarer, dass der Erzähler uns nie die ganze Wahrheit erzählt, er sich vielleicht auch selbst erzählt, was er glauben möchte. Wie er sein möchte, sich selbst in der Erinnerung beständig neu erfindet. Denn es steckt viel Gift in dieser Freundschaft, sie ist in ihrer offenen Rivalität toxisch. Die Wendung am Ende hätte es dabei für mich in ihrer vollen Drastik eigentlich nicht gebraucht, sie wirkte für mich ein wenig aufgesetzt. Aber das nur nebenbei.

Dschungel bietet sicher präsentierte Unterhaltung mit gutem Anspruch und weitgehend unprätentiös verpackter Kritik. Ein Buch, das ich in Rekordgeschwindigkeit und bis auf einige kleinere Kritikpunkte gern gelesen habe und in dem man immer wieder Aspekte eigener Erlebnisse wiederfinden kann.

Friedemann Karig: Dschungel

Friedemann Karig

Dschungel *

Ullstein Verlag

384 Seiten | 22 Euro

Erschienen am 2.5.2019


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Ich bin im Niemandsland von NRW zwischen Tagebauten und Kraftwerken aufgewachsen, da gab es nur wenige Argumente gegen ausgiebiges Lesen, um der Tristesse zu entkommen. Dann ging es nach Aachen, später nach Köln, dann nach Göttingen und nun lebe ich in Berlin und arbeite als Buchhersteller. Nebenbei spiele ich noch in Bands, meine zweite Leidenschaft ist ganz klar die Musik! Oder doch Kochen und Essen? Schwer zu sagen.

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