Väter und Töchter sind ein beliebter Topos der Literaturgeschichte. Dana von Suffrin wendet sich in ihrem Debütroman Otto (KiWi) dem Verhältnis von Timna, Babi und Otto zu. Eine jüdische Geschichte, die von heute weit in die Vergangenheit und quer durch die Welt reicht.
Otto ist ein Tyrann. Man kann es drehen und wenden, wie man will, er ist und bleibt genau das: ein Tyrann. Ein durchaus liebenswerter beizeiten, etwa wenn er besonders lieb bittet. Dass das nichts anderes als Stufe zwei des eindringlichen Einforderns seines ganz eigenen Willens ist – geschenkt. Oder wenn er liebevoll von seinen früheren Ehefrauen spricht. Dass das eher selten ist und er sich meist eher beschwert oder lediglich vage auf die mit ihren Namen versehenen Ordner im Schrank deutet – auch geschenkt.
Denn was tut man nicht für einen Vater! Gerade wenn er alt und gebrechlich geworden ist. Gut, alt war er für die Schwestern Timna und Babi irgendwie immer gewesen, aber nun ist er eben gebrechlich geworden, was das Alter plötzlich sichtbar macht. Dass auch noch Fotos aus seinen jungen Jahren auftauchen, von denen beide nicht glauben können, dass es sich um die gleiche Person handeln soll – wieder geschenkt.
Immerhin ist Otto ein ganz besonderes Exemplar eines Familientyranns. Sein gefühlt biblisches Alter ist das Ergebnis einer Lebensgeschichte, die aus dem heute rumänischen Siebenbürgen über Ungarn und Wien nach Israel und von dort nach Deutschland führt. Die letzte Station ausgenommen, spiegelt Ottos Biographie einen relativ typischen Lebensweg von Juden aus Südosteuropa, von »Ostjuden«, wie auch Timna und Babi sich bezeichnen. Ein Lebensweg, der geprägt ist von Pogromen, Vertreibung, Hass und dem stetigen Bestreben, sich anzupassen. Dabei aber stets bereit zur Flucht zu sein.
Daraus erklären sich auch die vielen höchst eigenwilligen Charakterzüge Ottos, die Timna, die Erzählerin in Otto, genauso liebe- wie humorvoll beschreibt. Otto hat seine ganz eigene Art, Deutsch zu sprechen. Irgendwie antiquiert, mit einem nicht zuordenbaren Gemisch an Akzenten. Kein Wunder, wenn man acht Sprachen spricht. Und er ist höchst geizig, obwohl er als Ingenieur zeitlebens sehr gut verdient hat. Er scheut es selbst, Nägel in die Wand zu schlagen, um die Wände zu schonen. Sein Parkett ist nur mit weichen Hausschuhen zu betreten, Möbel hat er kaum.
Otto ist der Versuch Timnas, die Geschichte ihres Vaters aufzuschreiben. Doch da es ihm schwerfällt, sich jemals auf allein eine Sache zu konzentrieren oder gar chronologisch zu erzählen, ist der Versuch von vornherein zum Scheitern verurteilt. Als Ich-Erzählerin berichtet sie von diesem Versuch:
Unsere Familie ist eher ein Klumpen von Geschichten. Wäre man weniger wohlmeinend, hätte man sagen können: Unsere Familie war ein Rattenkönig aus Geschichten […]. Das Dumme an den Geschichten war, dass sie fast alle schlimm endeten. Sicher, Otto war jedes Mal mit dem Leben davongekommen, aber ich war mir nicht sicher, ob das nun eine gute oder eine schlechte Sache gewesen war. Fest stand: Dieser Familie konnte man nicht entkommen.
So schlängeln wir uns lesend durch dieses absolut erzählenswerte Leben, ohne je einen wirklich greifbaren Eindruck davon zu bekommen, denn zunehmend scheinen Otto die Jahre und Länder durcheinanderzugeraten. Die Art, wie die Erzählerin von ihren Treffen mit dem tyrannischen Vater erzählt, bleibt dabei durch ihren Humor und die Liebe zum schratigen Stammhalter durchweg leicht und unterhaltsam. Sie trägt den Roman komplett, was leider gerade dann deutlich wird, wenn Otto mal nicht im Mittelpunkt steht. Denn die Schwestern bleiben beide komplett blass – was aber vernachlässigt werden kann.
Otto ist ein wunderbarer kleiner Roman, der von jüdischem Leben, von der Diaspora, dem lebenslangen Exil und ständiger Flucht genauso erzählt wie vom Verhältnis von Töchtern und Vätern, von Familie und Liebe. Und natürlich von einem tyrannischen Original, das man abseits aller Abstraktion so schnell nicht vergessen wird.
Dana von Suffrin
Otto
Kiepenheuer & Witsch
240 Seiten | 20 Euro
Erschienen am 22.8.2019