[class] Im Gespräch mit Daniela Dröscher und Michael Ebmeyer

Morgen startet die neue Berliner Lesereihe »Let‘s talk about class – Wege aus dem Klassenkrampf« im ACUD. Zu Gast sind die Autorinnen Lucy Fricke und Paula Fürstenberg sowie die Sängerin Aurélie Maurin. Durch den Abend führen die Veranstalter*innen Daniela Dröscher und Michael Ebmeyer. Wir haben den beiden vorab ein paar Fragen gestellt.


Let's talk about class: Die Veranstalter*innen Daniela Dröscher und Michael Ebmeyer
Daniela Dröscher und Michael Ebmeyer

Wie steht ihr zum Begriff »Klasse« und was bedeutet er für euch?

Michael Ebmeyer: Mir ist der Begriff »Klasse« wichtig, weil er schmerzt. Er nennt eine Einteilung der Gesellschaft in Oben, Mitte und Unten beim Namen, die im heutigen Deutschland gerne vertuscht wird und deshalb umso starrer und wirkungsvoller ist. Anstatt die Klassengesellschaft zu leugnen, sollten wir sie endlich überwinden.

Daniela Dröscher:  Für mich hebt der Begriff vor allem den Aspekt der Ausbeutung hervor. Nicht: die einen sind reich und die anderen arm. Die einen sind reich, weil die anderen arm sind. Wie Michael sagt: Wer von Klassen spricht, will Klassen abschaffen. Lange Zeit sprach man ja von »Schichten«, um die Durchlässigkeit zwischen Oben, Mitte und Unten zu betonen. Und ja. der Klassenkompromiss der 1970er Jahre hat hierzulande einer breiten Bevölkerungsschicht Bildung und Wohlstand beschert. Heute sieht das anders aus. Die Reichen werden immer reicher, die arbeitenden Armen immer ärmer. Und die OECD-Studie belegt jedes Jahr aufs Neue, dass in kaum einem anderen europäischen Land die soziale Herkunft so entscheidend ist.

Wie hat euch eure soziale Herkunft geprägt?

M.E.: Sehr – wie wohl jeden Menschen, der in Deutschland aufgewachsen ist. Meine eigene soziale Herkunft ist vor allem neurotisch. Ich komme aus einer Arztfamilie, bin aber mit einem ängstlichen kleinbürgerlichen Klassenbewusstsein aufgewachsen. Mein Vater, bei dem ich lebte, hatte als Flüchtlingskind und Halbwaise mit einer verbitterten, lieblosen Mutter einen sehr ungefestigten Habitus davongetragen. Die psychische Krankheit meiner Mutter war, ebenso wie die Trennung meiner Eltern, für mich ein Grund zu tiefer, lang anhaltender sozialer Scham. Ich hoffe, ich habe später, in der Auseinandersetzung mit diesen Beklemmungen, eine gewisse Sensibilität für Mechanismen der Klassengesellschaft entwickelt.

D.D.: Man mag es nicht glauben, denn Michael und ich kennen uns jetzt nicht erst seit gestern. Aber was er auf die Frage antwortet, höre ich in dieser Klarheit zum ersten Mal. Ich glaube, dass wir über die Dimension der sozialen Herkunft zu wenig miteinander sprechen. Auch in Freundeskreisen. Aber ja, in vielen Familien wird ein geringes soziales Selbstbewusstsein durch die Generationen weitergereicht. Ein Habitus ist ungemein träge.
Was mich angeht: Ich habe mein halbes Erwachsenenleben gebraucht, um diese soziale Scham überhaupt erst als eine solche zu erkennen. Lange Zeit war da nur ein großes Unbehagen. Und das, obwohl es  in meiner Familie nie Geldprobleme gab. Aber ökonomisches Kapital ist eben nicht gleichbedeutend mit kulturellem oder sozialem Kapital. Meine Eltern haben beide kein Abitur, auch wenn sie ihrerseits als erste in der Familie »saubere« Angestelltenberufe ausgeübt haben. Ich wiederum bin die erste Akademikerin der Familie. In der Welt der Kunst habe ich mich lange wie »Falschgeld« gefühlt, sprich, ich habe mit jeder Faser meines Körpers den Abstand zu meiner Herkunftswelt gespürt. Lange Zeit war dieser Abstand, wie gesagt, namenlos.

Wärt ihr lieber in ein anderes soziales Milieu geboren worden? Wenn ja, in welches?

M.E.: Für mich selbst wie für alle anderen Menschen wünsche ich mir, wir wären in Milieus geboren, in denen die Frage nach der sozialen Herkunft keine Rolle spielt für unsere Lebensmöglichkeiten und für unser Selbstwertgefühl.

D.D.: Wie geht dieses Gedankenspiel zu sozialer Gerechtigkeit noch: Imaginiere eine Gesellschaftsform, in die du selbst hineingeboren werden möchtest, ohne Ansehung der real existierenden sozialen Unterschiede. Erst dann ist es eine gerechte Gesellschaft.

Wieso brauchen wir eine Lesereihe zu dem Thema?

M.E.: »Let’s talk about class« ist vor allem eine Gesprächsreihe. Gelesen wird auch, aber um ins Gespräch zu kommen. Das gilt nicht nur für das Podium, sondern ebenso für das Publikum. Wenn wir etwas ändern wollen, müssen wir es erst einmal zur Sprache bringen. »Let’s talk about class« will die Scham überwinden, in die das Thema soziale Herkunft in  Deutschland gehüllt wird. Daher auch die Anlehnung an »Let’s talk about sex«.

D.D.: »Brauchen« ist herrlich. Ihr thematisiert damit einen feinen Unterschied, mit dem ich mein ganzes Leben lang gerungen habe: Nützlichkeitsgeschmack versus Luxusgeschmack. Grundsätzlich würde ich sagen: Kunst kann vieles, darf nicht alles, »muss« aber auch nichts. Literarisches Schreiben hat fast immer mit dem Ungesagten zu tun. Sprich, es kann sozialer Scham Sprache verleihen.

Was erhofft ihr euch von den Veranstaltungen?

M.E.: Das, was der Untertitel unserer Reihe verheißt: Wege aus dem Klassenkrampf. Erfreulicherweise mehren sich seit ein paar Jahren die Ansätze, das Tabu zu brechen und über Deutschland als Klassengesellschaft offen zu reden oder zu schreiben. Diese Ansätze wollen wir bündeln und bestärken.

D.D.:  Literatur hat ihre ganz eigenen, komplexen Mittel und Wege, die Klassenfrage zu stellen. Und darauf zu beharren, dass man sie stellt. Hier möchte ich gern unsere Kollegin Paula Fürstenberg zitieren, die wir auch eingeladen haben: »Wir Schreibenden verfügen berufsbedingt über ein gewisses Durchhaltevermögen, das durchaus als Kampfansage verstanden werden darf.«

Inwiefern ist Berlin als Veranstaltungsort dafür geeignet?

M.E.: Berlin ist doch als Ort für jede Art von Veranstaltung geeignet. Das Thema Klassengesellschaft ist nicht Berlin-spezifisch, es sollte überall verhandelt werden. Aber wir leben nun mal in Berlin.

D.D.:  Berlin ist alles auf einmal: Es hat traditionell eher wenig Großbürgertum, es ist das Zentrum der deutschen Austeritätspolitik, der Mietendeckel ist da. Komplette Straßenzüge gehören kulturschaffenden Erben. Viele internationale Künstler*innen leben in Berlin, weil man hier, anders als in vielen europäischen Metropolen, Wohnraum noch bezahlen und am öffentlichen Leben teilnehmen kann.

Nach welchen Kriterien habt ihr die Beteiligten für die Reihe ausgesucht?

M.E.: Um ins Gespräch zu kommen, haben wir Gäste ausgesucht, die das Gespräch – so glauben wir – gut anstiften können. Fürs erste sind es hauptsächlich Autorinnen und Autoren, großenteils solche, die nicht aus bildungsbürgerlichen Verhältnissen kommen. Denkbar und wünschenswert wäre es, die Reihe weiterzuführen und weiter zu öffnen. Aber vorerst sind es die fünf Termine im Jahr 2020. Zu denen haben wir Gäste eingeladen, die sich in ihren Texten mit dem Thema Klassengesellschaft auseinandersetzen – wie Lucy Fricke in ihren Romanen, Christian Baron in seinem autobiografischen Bericht »Ein Mann seiner Klasse« oder Hatice Akyün und Dilek Güngör in ihren Kolumnen und Büchern – und die überdies bereit sind, das Tabu auch auf offener Bühne anzugehen.

D.D.: Uns war wichtig, die Klassenfrage in ihren Überschneidungen zu feministischen und postmigrantischen Fragen zu denken. Genauso wichtig fanden wir es, viele ostdeutsch sozialisierte Autor*innen dabei zu haben: Annett Gröschner z.B. Weil sie schon deutlich anders auf den Begriff schauen.

Welche Rolle spielt die Musik an den Abenden?

M.E.: Eine auflockernde und eine intensivierende Musik kann jeden Gemütszustand direkter, sinnlicher ausdrücken, als Wörter es können: nicht nur Liebe und Kummer, Freude und Wut, sondern auch zum Beispiel das Unbehagen in der Klassengesellschaft. Der musikalische Anteil unterstreicht den Performance-Charakter unserer Reihe. Die Abende von »Let’s talk about class« sollen im Zusammenspiel von Podium, Musik und Publikum einen Raum schaffen, um über das Ungesagte zu reden.

D.D.:  Mir ist in der Vorbereitung noch einmal aufgefallen, welch tolle Lyrics sich in der Pop-Musik zur Klassenfrage finden. Von Lines wie »Money, money, money must be funny, in a rich man’s world« oder »Talking ‚bout the rich folks / Rich folks have the same jokes.« Ob Letzteres stimmt, müssen wir noch herausfinden.

Vielen Dank für das Interview.


Morgen um 20 Uhr gibt es die erste Ausgabe von »Let’s talk about class« im ACUD MACHT NEU. Der Eintritt ist frei.

Kommentar verfassen