Sind Roboter nicht doch die besseren Menschen? In Emma Braslavskys neuem Roman Die Nacht war bleich, die Lichter blinkten (Suhrkamp) tauchen wir in eine nicht allzu ferne Dystopie ein, die an Blade Runner genauso erinnert wie an I, Robot und AI. Was zeichnet den Roman aus?
Die Zeiten haben sich geändert. Kennt ihr noch Tinder? Parship? Elitepartner? Lovoo? Und alle anderen Singlebörsen? Als einsame Menschen teils verzweifelt versuchten, Sexual- und Beziehungspartner*innen zu finden und von Enttäuschung zu Enttäuschung wandelten. Das hat sich zum Glück geändert, denn die neue Generation Hubots lässt sich so genau auf die Bedürfnisse jedes Menschen zuschneiden, dass Einsamkeit ein für alle mal der Vergangenheit angehört.
Die fast menschlichen Roboter haben das Liebesleben revolutioniert. Das Berlin in Die Nacht war bleich, die Lichter blinkten beschreibt eine nicht allzu ferne Zukunft, in der sich jede*r, der*die es sich leisten kann, liebt. Und zwar im Prinzip allein sich selbst, denn die Roboter sind die Abbilder ihres Eros, ihres Begehrens. Sie werden einen Teufel tun, ihre Besitzer*innen herauszufordern. Eine neue Stufe der Einsamkeit ist erreicht, da die sozialen Kontakte der meisten Menschen nicht mehr nur in soziale Medien abwandern, sondern sich nun größtenteils auf Roboter beschränken.
Doch dann kommt die eigentliche Revolution: Roberta. Sie ist ein Hubot, der für die Bedürfnisse der Polizeiarbeit optimiert wurde. Ein Dilemma: Bisher waren Roboter reine Erfüllungsgehilfen, doch Roberta hat den Anspruch, ein produktiver Teil der Gesellschaft zu sein. Und ihre Arbeit soll effektiv Geld einsparen. Denn die Selbstmordrate ist aufgrund der sozialen Verkümmerung derart in die Höhe geschnellt, dass der Sozialstaat an den Bestattungskosten zu ersticken droht.
So verfolgen wir in Die Nacht war bleich, die Lichter blinkten Roberta auf ihrem ersten Fall, dem Selbstmord Lennards, eines gescheiterten Künstlers, Unternehmers, eines Getriebenen, der es nicht mehr ausgehalten hat. In einer kühlen Sprache erzählt der Roman von ihrer Suche nach den Spuren seines Lebens, nach Freunden, Verwandten und Geliebten. Und wir beobachten Roberta dabei, wie sie sich in einer Welt von höchst eigenartigen Existenzen verortet, sich selbst in den Bruchstücken sucht und sich langsam eine Identität zusammenbaut.
Roberta wollte sich nicht vorstellen, dass sie all diese personalisierten Recheneinheiten mit einem Kommando einfrieren und die Illusionen dieser Menschen von einem Moment auf den anderen zerstören könnte, sie wollte sich nicht vorstellen, dass diese Personen eigentlich allein anwesend waren, dass sie isoliert waren, weil kaum einer hier mehr Anschluss an den anderen fand. Roberta wollte nicht die getarnte Schlange sein, sondern Teil werden dieses euphorisierten Geflirrs.
Emma Braslavsky hat mit Die Nacht war bleich, die Lichter blinkten eine intelligente Dystopie entworfen, die im Kern ein Kriminalroman ist und durch dessen Plot ein gutes Tempo entwickelt. Interessanter als der Plot ist aber natürlich die Entdeckung dieser fremdartigen Welt, die uns da präsentiert wird. Nun ist das Roboter-Thema in der Literatur, in Film und Theater nicht neu, daher muss man sich schon einiges einfallen lassen, um die Frage, was menschliches Leben eigentlich ausmacht, nochmal wirklich gut zu stellen.
Vielleicht hatte der Roman es bei mir leicht, da mir die Stoffe anderer Veröffentlichungen schon nicht mehr so präsent waren, nur Blade Runner und AI sind noch einigermaßen da. Glücklicherweise hält sich Emma Braslavsky auch beim fraglos hohen Flachwitzpotenzial á la Känguruh-Chroniken oder Qualityland (naive*r Außenstehende*r beobachtet menschliches Sozialverhalten) zurück und legt mehr Wert auf Beobachten und Erzählen.
Dabei entwickelt der Roman auch eine gewisse Analogie zu Rassismus und Sexismus unserer Tage, wenn Roberta immer wieder ihre Leistungen abgesprochen werden, ihre Erfolge klein gemacht und ihr Vorgehen schickaniert wird, einfach nur weil sie anders ist und die Menschen um sie herum eine diffuse Angst vor ihr haben. Diese erlaubt ihnen aus Selbstschutz schlicht nicht, sie als gleichwertiges Gegenüber zu sehen, sondern immer nur die Maschine in ihr hervorzuheben. Egal was sie auch tut.
Die Mischung aus flottem Plot, klugen Analogien und einer lesenswerten Sprache macht Die Nacht war bleich, die Lichter blinkten zu einer runden Sache. Durch die Augen Robertas auf die dunkle Dystopie ihrer Tage schärft der Roman die Sicht auf unsere Zeit und leistet damit genau das, was eine Dystopie schaffen muss: Durch den Blick in eine dunkle Parallelwelt neu auf uns selbst schauen zu können. Natürlich hier nicht im Sinne eines neuen Klassikers, aber einer Dystopie, die es in sich hat.
Emma Braslavsky
Die Nacht war bleich, die Lichter blinkten
Suhrkamp Verlag
270 Seiten | 22 Euro
Erschienen am 12.8.2019