Deborah Feldman wächst in der Gemeinde der chassidischen Juden New Yorks auf. In ihrer autobiografischen Erzählung Unorthodox (Secession Verlag) zeichnet sie ihre Sozialisation und die Befreiung aus der streng gläubigen Gemeinde nach.
Schon lange steht dieses Buch in meinem Regal, aber irgendwie hatte es bis vor Kurzem nie meine Aufmerksamkeit erregt. Da musste erst die Netflix-Miniserie Unorthodox kommen, um neugierig werden zu lassen. Ich bin nun ganz froh, das bereits 2012 im englischen Original und 2016 in der deutschen Übersetzung erschienene Buch nach der Serie gelesen zu haben. Deborah Feldmans Memoir ist nämlich um Längen besser als die Verfilmung.
Deborah Feldman wird 1986 geboren und wächst als Teil der ultraorthodoxen chassidischen Gemeinde der Satmarer Juden in Williamsburg, einem Stadtteil New Yorks, auf. Diese besonders konservative Ausprägung des Judentums bildete sich in New York nach dem Zweiten Weltkrieg heraus und ist bekannt für ihre strengen Regeln und Ansichten, die auch in Unorthodox beschrieben werden. Deborah Feldman erzählt, wie sie als heranwachsende Frau in der Gemeinde verglichen mit den Männern und Jungs nur wenig Rechte besaß. Ihre ganze Kindheit und Jugend über wurde sie darauf vorbereitet, zu heiraten und der Gemeinde dann so viele Kinder wie möglich zu schenken. Dementsprechend gering fällt die Bildung für die Satmarer Mädchen aus. Doch die Autorin will das schon sehr früh nicht hinnehmen, kauft sich heimlich Bücher, liest sie im Verborgenen und beginnt selbst zu schreiben.
Mit ihrem Leben ist sie als Mädchen eigentlich ganz zufrieden. Wie soll es auch anders sein, wenn man nie etwas anderes kennengelernt hat? Zu ihrer Mutter hat sie keinen Kontakt, ihr Vater ist nicht in der geistigen Verfassung, sich angemessen um sie zu kümmern, weshalb Deborah Feldman bei ihren Großeltern aufwächst. Zum großen Bruch kommt es, als Deborah alt genug ist, um verheiratet zu werden – mit 17 Jahren. Ihren Mann sieht sie ganze drei Mal, dann findet die Hochzeit statt. Im Anschluss soll »die Ehe vollzogen« werden, die Gemeinde wartet darauf, Feldman schwanger zu sehen. Doch ein ausgeprägter Vaginismus, fehlende Aufklärung und der Zwang, Sex mit einem Unbekannten zu haben, lassen die Ehe zu einem Schreckenserlebnis werden und verhindern zunächst eine Schwangerschaft.
Mit 19 wird sie dann doch schwanger und bringt einen Sohn zur Welt, mehr Rechte als Frau und Mutter hat sie deshalb trotzdem nicht. Nach und nach beginnt Feldman, sich aus dem strengen Glaubensregime ihrer Gemeinde zu befreien, besucht heimlich ein College, um Literatur zu studieren und trägt dort verbotenerweise Jeans und andere »nicht-fromme« Kleidung. Schließlich gelingt ihr das Ausbrechen aus der Gemeinde. Heute lebt sie mit ihrem Sohn in Berlin.
Ich habe keine Vergangenheit, an die ich mich klammern könnte; die letzten dreiundzwanzig Jahre gehören jemand anderem, jemandem, den ich nicht mehr kenne.
Deborah Feldman beschreibt in einem sehr nahbaren und einfühlsamen Ton ihre eigene Erweckungsgeschichte, die mich wahnsinnig beeindruckt hat. Der Fokus des Buches liegt eindeutig auf Feldmans Aufwachsen in der Satmarer Gemeinde. Feldman zeichnet das Bild einer sektenähnlichen Gruppierung des Judentums, von der ich vorher noch nichts gehört hatte, und vergisst dabei nicht die liebevollen, positiven und glücklichen Momente ihrer Kindheit hervorzuheben. Denn bei aller Strenge scheint immer wieder die Liebe ihrer Großeltern zu dem Mädchen hindurch. Der Bruch mit der Gemeinde kommt trotzdem, doch dieser wird im letzten Viertel des Buches relativ schnell und oberflächlich abgearbeitet. Da hätte ich mir an einigen Stellen mehr Erklärungen gewünscht. Aber manchmal ist es nicht so leicht, über schwierige Zeiten zu schreiben, die noch gar nicht allzu lang zurückliegen.
Deborah Feldman zeichnet in Unorthodox nicht nur ihre eigene Geschichte nach, sondern auch das Bild einer Glaubensgemeinde, die dicht an dicht mit den Alternativen im New Yorker Stadtteil Williamsburg wohnt. Streng religiöse Normen und Werte treffen auf modernes Hipsterleben. Diesen Kontrast fängt die Autorin wunderbar ein. So ist Unorthodox nicht nur ein schockierendes wie beeindruckendes Memoir, sondern auch ein kleines Stück New-York-Geschichte.
Deborah Feldman
Unorthodox
Secession
319 Seiten | 22 Euro (vergriffen)
Als Taschenbuch bei btb erhältlich.
Erschienen 2016
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Trailer zur Miniserie Unorthodox
Passend zur Netflix-Serie gibt es einen Unangepasst-Podcast von Matze Hielscher, in dem u.a. Deborah Feldman zu Gast ist und über ihr Leben spricht.
Außerdem möchte ich noch die Netflix-Doku One of Us zu diesem Thema empfehlen.
Und die Serie Shtisel.
[…] Diese Rezension erschien zuerst auf Poesierausch. […]