Die japanische Autorin Mieko Kawakami kritisiert in ihrem Roman Brüste und Eier (Dumont) den Blick auf die Frau im heutigen Japan. Ein Murakami-Blurb auf dem Cover verspricht eine atem(be)raubende Lektüre – kann der Roman dieses Versprechen einlösen?
Ich gebe es zu: Das hier ist mein allererster japanischer Roman. Nein, ich habe noch nicht mal was von Haruki Murakami gelesen. Sollte ich vielleicht mal nachholen. Brüste und Eier ist bereits der vierte Roman von Mieko Kawakami, aber der erste, der ins Deutsche überstezt wurde. Die Grundlage für Brüste und Eier war eine gleichnamige Novelle, die Kawakami bereits 2008 schrieb. Hieraus erklärt sich auch die Zweiteilung des Romans.
Der erste Teil nimmt circa ein Drittel des Buches ein und spielt im Jahr 2008, der zweite Teil von 2016 bis 2019. Beide Teile werden aus Sicht der Ich-Erzählerin Natsuko beschrieben, einer jungen Frau Anfang dreißig, die allein im Herzen Tokyos wohnt und gerade an ihrem ersten Roman schreibt.
Im ersten Teil bekommt Natsuko Besuch von ihrer Schwester Makiko und deren Tochter Midoriko. Anlass ist die geplante Brustvergrößerung Makikos in der Hauptstadt. Wie besessen davon gibt es für sie nur dieses eine Thema. Sie will dem gesellschaftlichen Anspruch, einer Frau dürfe man ihr Alter nicht ansehen, mit der Straffung ihrer Brüste nachkommen. Die pubertäre Midoriko dagegen kämpft in ihrem Inneren genau gegen diese und weitere gesellschaftliche Tabuisierungen des weiblichen Körpers und fühlt sich komplett unverstanden. Midorikos Protestform: Schweigen. Dass ausgerechnet ihre Mutter sich dem Tabu des weiblichen Alterns nun unterwirft, trägt nicht gerade zur Harmonie bei.
Der erste Teil des Romans verhandelt wichtige feministische Themen, zeigt zwei Generationen von japanischen Frauen und scheut sich auch nicht, explizit zu werden. Die verschiedenen Arten einer Brustvergrößerung werden beispielsweise detailliert durchgesprochen. Das ist konkret, und damit sehr passend zu Makikos Euphorie. In tagebuchartigen Zwischensequenzen werden Midorikos Gedanken dazu eingestreut und bilden einen gelungenen Kontrast zur Vorfreude ihrer Mutter. Auch wenn die Figuren sehr auf Distanz zu den Lesenden bleiben – woran ich mich zu Beginn erst gewöhnen musste –, bekommt man ein Gefühl dafür, wie es ist, in einem Land mit immer noch sehr traditionellen Rollenbildern und Körpernormen zu leben. Midoriko steht dabei für eine neue Generation, die sich kritisch mit den normativen Geschlechterrollen auseinandersetzt.
Die Ich-Erzählerin Natsuko erleben wir in diesem ersten Teil eher als eine Beobachterin. Aber auch sie spürt die Unterdrückung des Weiblichen, und das vor allem im zweiten Teil des Romans. Natsuko hegt einen Kinderwunsch, doch hat sie weder einen Partner noch verspürt sie sexuelle Lust – sie definiert sich als asexuell. Daher setzt sie sich mit den Möglichkeiten einer Samenspende als Single-Frau auseinander. Schnell stößt sie hier an Grenzen, auf legalem Weg ist solch eine Befruchtung in Japan nicht möglich. Und so liest sie sich weiter ein in die Thematik, führt mit verschiedensten Menschen Gespräche über ihren Kinderwunsch und denkt auch darüber nach, ob es überhaupt richtig ist, ein Kind in die Welt zu setzen.
Würde auch ich irgendwann ein Kind haben? Könnte ich, die ich weder einen Freund hatte noch einen begehrte, weder Sex wollte noch dazu in der Lage war, überhaupt eines haben?
Rein thematisch ist auch dieser Teil, der sich von 2016 bis 2019 über drei Erzähljahre erstreckt, hochinteressant. Allerdings wurden die zentralen feministischen Themen im zweiten Teil weniger gut umgesetzt als im ersten und insgesamt scheinen mir die beiden Teile gar nicht richtig zusammenzugehören. Makiko und Midoriko tauchen im zweiten Erzählstrang als Nebenfiguren zwar noch auf, allerdings wird zum Beispiel nicht ganz ersichtlich, ob Makiko die Brust-OP nun wirklich hat machen lassen. Oder ob Midoriko sich nun, acht Jahre später, weiterhin für die Enttabuisierung des weiblichen Körpers einsetzt.
Stattdessen zerfasert der Roman in viele Einzelstränge rund um Natsukos Kinderwunsch. Es gibt lange Erörterungen – getarnt als Dialoge, die oftmals nur durch mehrmaliges »Mmh« des Gegenübers strukturiert werden –, gefolgt von sich wiederholenden Gedankengängen. Für mich war über die knapp fünfhundert Seiten leider auch nur wenig Identifikationspotenzial mit Natsuko zu finden. Irgendwie blieb sie für mich immer auf Distanz und eher kühl, was erstmal kein Kritikpunkt sein muss. Aber dann tauchten doch einige zu pathetische Gedanken auf (»Ich war im Begriff, auf den weißen Flügeln meiner Freude über das azurblaue Karibische Meer hinwegzufliegen«), sodass ich sie irgendwann nicht mehr ganz ernst nehmen konnte.
Schade eigentlich, der erste Teil hat mir nämlich wahnsinnig gut gefallen. Nichtsdestotrotz konnte ich einen erhellenden Einblick in die Stellung der Frau im heutigen Japan gewinnen und bin bereit für weitere Bücher aus Japan.
Mieko Kawakami
Brüste und Eier
Aus dem Japanischen von Katja Busson
Dumont
496 Seiten | 24 Euro
Erschienen am 18.8.2020