Mit ihrem zweiten Roman Herzklappen von Johnson & Johnson (Suhrkamp) stand Valerie Fritsch auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis 2020. Sie schreibt darin über Erinnerung, Schmerz und die Bedeutung vererbter Traumata.
Als Kind wundert sich Alma über die Erwachsenen. Sie sind so still und voller Geheimnisse. Als sie älter wird, merkt sie, warum. Almas Großeltern gehören der Kriegsgeneration an. Almas Großvater hat im Zweiten Weltkrieg gedient, war danach in Kasachstan in Kriegsgefangenschaft. Über das, was er dort erlebt hat, spricht er nicht oft, und wenn dann nur ausschnitthaft.
Seine Geschichte begann mal hier und mal dort und klang, als wäre der Großvater kein aktiver Teil davon gewesen, als hätte er die beschwerlichen Zeiten nicht selbst gelebt und als wäre ihm der Krieg, der immer noch nicht richtig zu Ende schien, bloß zugestoßen.
Nach dem Tod des Großvaters beginnt Almas Großmutter sich zu erinnern, redet mit ihrer Enkelin über Schmerz und Sprachlosigkeit, die zwei stetigen Begleiter ihrer Ehe. Alma beginnt zu verstehen, dass solch ein Kriegstrauma sich über Generationen hinweg zieht – ein Schmerz, der zwar leiser wird, aber nicht verschwindet.
Er bleibt Alma auch ganz unerwartet erhalten, als ihr Sohn Emil geboren wird. Der kommt mit einem seltenen Gendefekt zur Welt, er spürt keinen Schmerz. Regelmäßig muss der kleine Körper abgetastet werden, offensichtliche Wunden werden gesucht, die Hoffnung hochgehalten, dass es keine inneren gibt. Auch hier sind Verletzung und Stille nah beieinander.
Valerie Fritsch erzählt die Geschichte von Alma in feinen Strichen, die am Ende das Bild einer ganzen Familie ergeben. Obwohl der Roman komplett ohne direkte Rede auskommt, konnte ich mir die wenigen und stillen Dialoge vor allem zwischen Alma und ihren Großeltern sehr gut vorstellen. Beeindruckend, wie Valerie Fritsch diese Stille in einer poetischen Sprache lebendig werden lässt.
Ich habe dieses Buch aufgrund des Vorschau- und Klappentextes ausgewählt. Dieser beschreibt, dass es in Herzklappen von Johnson & Johnson um ein Kind ginge, das keinen Schmerz spürt. Meine Erwartungen an den Roman: Ich werde erfahren, was es mit Emils Gendefekt auf sich hat, wie es für Eltern und Kind ist, damit zu leben.
Bekommen habe ich eine Geschichte über Schmerz in vielen Schattierungen, vom Reden über das Unaussprechliche, über eine Spurensuche und lediglich in ein, zwei Kapiteln auch die Geschichte von Emil. Versteht mich nicht falsch, ich finde Valerie Fritschs Roman sehr gelungen, hatte aber irgendwie andere Erwartungen. Vielleicht sollte ich mich einfach weniger von Klappentexten beeinflussen lassen?
Dennoch bleibt Herzklappen von Johnson & Johnson ein Roman, der den offensichtlichen und verborgenen Schmerz in jeder Zeile spürbar werden lässt und zudem die Themen weitervererbtes Trauma und Erinnerung auf wenigen Seiten in einer präzisen und formvollendeten Sprache erzählt.
Valerie Fritsch
Herzklappen von Johnson & Johnson
Suhrkamp
174 Seiten | 22 Euro
Erschienen am 17.2.2020
Also ich würde unbesehen alles von Valerie Fritsch lesen, mit oder ohne Klappentext. Ihre Sprache trägt alles …
Das stimmt, ihre Sprache ist wirklich sehr beeindruckend.