Bisher war die Autorin Esther Becker vor allem als Dramatikerin unterwegs. In ihrem kürzlich erschienenen Debütroman Wie die Gorillas schreibt sie über das weibliche Aufwachsen im Patriarchat und die damit einhergehende Unbehaglichkeit.
Brüste abbinden, Hosen an und wie die Gorillas um den Block stolzieren – frei von den Blicken der Männer, frei von Zuschreibungen einer vermeintlichen Weiblichkeit. So ziehen Svenja, Olga und die namenlose Ich-Erzählerin in der titelgebenden Szene aus Esther Beckers Debütroman durch die Straßen. Wir begleiten die drei Freundinnen über einige Jahre hinweg, eine genaue Zeitspanne wird nicht näher definiert.
Aber wir sind dabei, wenn die drei als Mädchen zum Schwimmunterricht gehen, wenn sie sich um berufliche Perspektiven Gedanken machen – Svenja will Schauspielerin werden, Olga Ärztin und die Ich-Erzählerin weiß es nicht so genau –, und schließlich, einige Zeit später, bei dem Versuch, diese Pläne in die Tat umzusetzen. Olga wird gegen den Willen ihrer Eltern Ärztin, Svenja hangelt sich von Casting zu Casting und wird dabei oftmals auf ihren Körper und ihr Aussehen reduziert, soll blankziehen auf der Bühne und das »blonde Gift« verkörpern. Die Ich-Erzählerin dümpelt so vor sich hin, studiert schließlich Film- und Fernsehwissenschaft.
So richtig kommt unsere Protagonistin aber nicht voran, beobachtet ihre Freundinnen, blickt auf ihre gemeinsame Vergangenheit zurück und stellt dabei Szenen heraus, die zeigen, wie sehr der weibliche Körper von dem männlichen Blick, dem so genannten »male gaze«, bestimmt wird und wie doch alle Lebensphasen davon beeinflusst werden. Sei es im Schwimmbad, in den Theatern dieses Landes oder bei sexuellen Übergriffen. Besonders aufwühlend ist eine Szene, in der die Ich-Erzählerin als Jugendliche fast vergewaltigt wird und sich nur mit letzter Kraft aus den Armen des Mannes befreien kann.
Ich erzählte meinen Eltern nichts, damit sie sich keine Sorgen machen und weil ich ihnen auch sonst nichts erzähle. Ich mied diesen Weg eine Weile. Jetzt trage ich meinen Schlüsselbund wie einen Schlagring, wenn ich abends unterwegs bin, die Schlüssel zwischen den Fingern der zur Faust geballten Hand.
Die Folgen des Angriffs sind Scham, Verlust der eigenen Freiheit – und leider steht dieser Übergriff auch als Beispiel für eine Vielzahl von sexuellen Übergriffen, die weiblich gelesenen Menschen tagtäglich passieren. Und vielleicht hat mich dieses Buch trotz seiner Kürze von nur 160 Seiten auch deshalb so abgeholt – weil ich als Frau dieses wachsende negative Bewusstsein der eigenen Weiblichkeit auch kenne. Die Unbedarftheit der Kindheit schwindet mit dem Älterwerden, spätestens mit Beginn der Pubertät sehen sich viele Frauen den unterdrückenden Mechanismen des Patriarchats schutzlos ausgesetzt. Davon erzählt Esther Becker in ihrem beeindruckenden Debüt.
Ihre Sprache ist dabei drastisch und verknappt – jeder Satz sitzt dort, wo er hingehört. Diese Sprache beschönigt nichts und verleiht dem Thema den nötigen Nachdruck. Gleichzeitig versperrt sie sich den Lesenden aber auch nicht. Ich habe Wie die Gorillas innerhalb einiger Abende gelesen, was dazu führte, dass er in mir nicht ganz so lang nachhallte wie manch anderes Buch. An der einen oder anderen Stelle hätte man sicherlich noch etwas stärker auserzählen können, aber das möchte ich dem Roman eigentlich nicht zum Vorwurf machen. Esther Becker liefert mit ihrem Debütroman einen wichtigen Beitrag zur feministischen Literatur.
Esther Becker
Wie die Gorillas
Verbrecher Verlag
160 Seiten | 19 Euro
Erschienen im Januar 2021