Mal wieder das Dorf, aber erfrischend anders. Sven Pfizenmaier konzentriert sich in seinem Debüt Draußen feiern die Leute ganz auf den eigenartigen Mikrokosmos und arbeitet dabei vor allem die grellen Farben auf ganz eigene Weise heraus.
Als Landei erkennt man Dorfstrukturen gleich, wenn sie auch nur kurz vor den eigenen Augen auftauchen. Genau so ging es mir beim Lesen von Sven Pfizenmaiers Debüt Draußen feiern die Leute. Er verzichtet im Gegensatz zu vielen anderen aktuellen Romanen auf einen Kontrast zwischen Stadt und Land, Zentrum und Peripherie, und konzentriert sich statt dessen ganz auf das Dorf. Und das ist erfrischend, auch weil sich der Autor dem Ort seiner Handlung auf ganz eigene Weise nähert.
Der Roman spielt irgendwo in der niedersächsischen Einöde zwischen Hannover und Braunschweig. Nicht viel los, also wird gebechert, bis eben was passiert. Hat ja Charles Bukowski auch schon irgendwie so gesagt, auch wenn der hier mal wirklich keine Rolle spielt. Wobei: Zumindest bei mir war er eine der Lektüren, die mein jugendliches Ich begleitet haben. Zumindest hier gibt es eine Überschneidung, denn auch in Draußen feiern die Leute stehen Jugendliche im Vordergrund, die alle um die 18 sind. Genau das Alter, in dem man sich so langsam überlegen muss, wo es im Leben denn hingehen soll. Will sagen: extrem schwierige Zeit.
Doch nicht nur wegen der Zukunft ist es schwer, jugendlich zu sein. Auch solche Dinge wie Zugehörigkeit, Bestätigung, Liebe, Sex und die Entfaltung der eigenen Persönlichkeit gegen die Formung der Eltern spielen eine ziemlich große, nicht immer leichte oder gar positive Rolle. Es herrscht Druck an allen Ecken und Enden, mal mehr, mal weniger buchstäblich.
So geht es den Protagonist*innen des Romans auch nicht so prall. Timo hat Probleme mit seinem Äußeren, fühlt sich hässlich, zu dünn, irgendwie pflanzenähnlich. Valerie verliert sich immer wieder in Träumen, flüchtet unfreiwillig aus der Gegenwart als Russlanddeutsche in der Provinz. Und Richard kann so schlecht mit anderen Menschen umgehen und ihnen Esprit vermitteln, dass sie ihm gegenüber in eine existenzielle Langeweile verfallen. Um die drei und eine Vielzahl von Nebenfiguren entspinnt sich nun ein abgefahrener Plot, der bevölkert ist von Drogen, zwielichtigen Gestalten, unfähigen Polizisten und ganz viel Alkohol und Speed. Und natürlich verschwundene Frauen aus dem Dorf, die die Jungendlichen wieder aufspüren wollen.
Unter der Dusche können sich Timos Haare nicht zur Sonne recken, die kommt hier nicht rein. Das kleine Erdgeschossfenster zeigt zur Nordseite. Vom Wasser übergossen wechseln sie dennoch ihre Farbe, aus Orange wird Rot und aus Rot noch mehr Rot. Das Wasser wandert von den Haaren hinab in Richtung Duschboden, bahnt sich einen Weg über Timos Körper, der genauso gut eine Landschaft in Mittelerde oder Narnia, Eden oder Phantásien sein könnte.
Alles schön und gut. Aber wirklich besonders wird Draußen feiern die Leute dadurch, dass der Roman das Innerste seiner Figuren expressionistisch bis absurd nach außen kehrt. Timo findet nicht, dass er wie eine Pflanze ist, sondern er ist eine. Valerie flieht nicht vor der Realität, sie schläft einfach 45 Tage lang. Und Richard ist nicht einfach ein langweiliger Typ, die Menschen um ihn herum halten seine Gegenwart tatsächlich nicht aus. Auch manche Nebenfiguren haben erstaunliche Züge. Erst mit der Zeit lernen sie alle, sich zu akzeptieren und damit auch die Stärken ihrer ganz eigenen Natur zu sehen und für sich zu nutzen.
Diese absurden Züge, zusammen mit einer gesunden, niemals abwertenden Ironie in der personalen Erzählstimme und flott geschriebenen Dialogen gibt dem Roman einen ordentlichen Drive. Und die Themen gehen auch über ein bloßes Coming-of-Age hinaus. So spielt gerade die Gruppe der Russlanddeutschen eine große Rolle, die sich wie andere migrantische und migrantisierte Gruppen immer wieder im Limbo zwischen den Ländern wiederfinden, weder zum einen, noch zum anderen gehören. Damit gehen die Figuren alle unterschiedlich um, was eine erfrischend vielfältige Sicht auf den Themenkomplex gibt.
Draußen feiern die Leute ist ein wunderbares Debüt, das mutig die Andersartigkeit zelebriert und sich damit von vielen anderen, eher im Realismus verbleibenden Coming-of-Age-Romanen absetzt. Es macht Spaß, kann seine Themen aber gleichzeitig glaubwürdig vermitteln und seinen Figuren auch im Absurden noch Würde geben.
Übrigens: Der ebenso coole Soundtrack zum Buch kommt von Lyian:
Sven Pfizenmaier
Draußen feiern die Leute
Kein & Aber
339 Seiten | 24 Euro
Erschienen im Februar 2022
Ich lebe allein für die Zusammenfassung des Romans. Richtig stark, bin auch mit jeder Seite mehr versunken und unheimlich fasziniert von der Art, wie erzählt wird
Freu mich, dass es dir auch gefallen hat!
[…] Draußen feiern die Leute ist ein wunderbares Debüt, das mutig die Andersartigkeit zelebriert und sich damit von vielen anderen, eher im Realismus verbleibenden Coming-of-Age-Romanen absetzt. Poesierausch […]