Ab in den Steinbruch der eigenen Identität: Christian Dittloff schreibt mit Prägung. Nachdenken über Männlichkeit ein zweites Memoir, das sich mit dem Aufwachsen und Leben als Mann auseinandersetzt.
Kinder nehmen alles in sich auf, sie sind wie Schwämme, die sich beständig weiter aufsaugen. Und aus denen die Einflüsse der Umwelt herausquillen, sobald Druck auf sie ausgeübt wird. Sei es nun in Form von Pubertätshormonen oder anderen Stresssituationen. Wer als Kind beständig Gewalt erfährt, wird als erste Antwort Gewalt zur Hand haben, wenn es eng wird. Und wer als Junge im Patriarchat und mit starken bis übertriebenen männlichen Vorbildern aufwächst, wird diese Prägung nicht mehr los. Egal, wie viel dagegengesetzt wird, sei es mit Therapie, Selbstreflexion oder Lektüre. Beständig daran zu arbeiten, sich und sein Handeln von dieser Prägung nicht bestimmen zu lassen, wird zur täglichen Aufgabe.
Christian Dittloff stellt sich dieser Aufgabe in Form seines Memoirs Prägung. Nachdenken über Männlichkeit. Doch wie erzählt man von einer Prägung, die so tief in den Strukturen der Welt, in der man aufgewachsen ist, verwurzelt ist, dass sie kaum je klar und eindeutig hervortritt? Am Ende hieße das ja, wirklich alles erzählen zu müssen. Das kann und will natürlich niemand.
Also wird die Methode wichtig: der Steinbruch. An sich schon ein gutes Bild, wenn es um die Suche in sich selbst geht, wird das Wort selbst hier aber zur Quelle der Inspiration. Jedes Wort, das im Wort »Steinbruch« steckt, wird zum Anlass einer Episode, die wiederum gern vom Hölzchen aufs Stöckchen kommt und sich weiterwälzt. So bilden »Stein«, »Bruch«, »Sein«, »Inch« oder »Buch« Ausgangspunkte des Erzählens.
Doch was nun erzählen mit der gefundenen Methode? Wie von Männlichkeit und der Prägung durch diese erzählen, ohne sich selbst herauszuheben, ein Anders-, ein Bessersein zu behaupten, das allein dem Schreiben über diese Prägung schnell anhaftet? Prägung balanciert beständig an dieser bröckeligen Kante. Das macht es nicht zu einem leicht und süffig erzählten Memoir, sondern zu einem Buch mit einer eher tastenden, vorsichtigen Bewegung.
So sucht man in Prägung essayistische Passagen zur männlichen Prägung, zu toxischer Männlichkeit oder männlichem Feminismus fast vergeblich. Dafür gibt es andere Bücher (und eine ordentliche Quellensammlung am Ende). Hier geht es eher um eine persönliche, dabei aber auch immer zu einem gewissen Grad typische Art der Kindes- und Jugenderfahrung. Einer Erfahrung auch, die sich selbst auf den Grund zu gehen versucht.
Gerade für mich waren die Ausführungen zu großen Teilen sehr anschlussfähig, sind der Autor und ich doch praktisch gleich alt, wir kommen aus ganz ähnlichen Verhältnissen, standen als Jugendliche auf die gleiche Musik und waren in unterschiedlichen Städten praktisch auf den gleichen Konzerten. Bei all dem schönen Wiedererkennen und dabei über die eigene Prägung Nachdenken hat mir das Buch aber auch wieder gezeigt, dass das Memoir einfach nicht meine Form ist. Für mich ist muss es irgendwie entweder ganz Sachbuch oder ganz Roman sein, diese Zwischenform ist mir zu individuell, während mich größere Zusammenhänge immer mehr packen.
Dennoch ist Prägung von Christian Dittloff ein sehr persönliches und schön geschriebenes Memoir über die nicht kleinzukriegende Kraft der männlichen Prägung und den beständigen Kampf gegen ihr Fortleben als Erwachsener.
Christian Dittloff: Prägung. Nachdenken über Männlichkeit | Berlin Verlag | 240 Seiten | 22 Euro | Erschienen im Februar 2023