[wortmeldungen 2023] Förderpreis-Shortlist: Sebastian Behr, Clemens Böckmann, Nicole Collignon

Die Shortlist des WORTMELDUNGEN Ulrike Crespo Förderpreises für kritische Kurztexte steht fest, nun stellen wir euch die ersten drei Nominierten und ihre Texte vor: Sebastian Behr, Clemens Böckmann, Nicole Collignon.

Wortmeldungen Förderpreis

Beim WORTMELDUNGEN Förderpreis werden wieder neue Stimmen zu relevanten gesellschaftlichen Themen gesucht. Zehn Autor*innen sind mit ihren Texten über die Möglichkeit, den Klimawandel literarisch zu vermitteln, für die Shortlist nominiert. In drei Beiträgen stellen wir sie euch vor, bevor im November dann die drei Preisträger*innen gekürt werden. Wie immer könnt ihr alle Texte auf der WORTMELDUNGEN-Homepage nachlesen – wir verlinken sie aber auch im Folgenden nochmal.


Sebastian Behr: Uga

In Uga von Sebastian Behr herrscht eine höchst bedrückende Stimmung. Was auf den ersten Blick wie ein ausgedehnter Campingurlaub wirkt, entpuppt sich immer mehr als postapokalyptische Dystopie einer Welt nach der Klimakatastrophe. Die Menschheit ist geteilt in die Überlebenden und die Milben, die wie Zombies dahinsiechen. Damit zieht der Text auch eine klassistische Kritik heran, denn die Milben waren die Reichen vor der Apokalypse, die durch ihren Lebensstil die Katastrophe herbeiführten. Auch sprachlich riskiert Uga viel, ist unangepasst und fremd, aus einer anderen Zeit eben.

Wir haben Sebastian Behr ein paar Fragen zum Text gestellt:

Sebastian Behr

Warum hat dich das von Judith Schalansky ausgerufene Thema zum Wortmeldungen Förderpreis 2023 animiert, einen eigenen Text zu schreiben?

Ich hatte in den letzten Jahren das Gefühl, dass global warming und alle Probleme die damit einhergehen medial zwar einen immer größeren Platz einnehmen konnten, das Thema auch in Teilen von Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft eine große Rolle spielt, aber die beinah täglichen, mitunter apokalyptischen Nachrichten dazu – Überschwemmungen, Stürme, Dürre, schmelzende Polkappen, steigender Meeresspiegel, wieder ein Temperaturrekord, noch ein größerer Waldbrand – einen irgendwie abstumpfen lassen – es gehe ja doch irgendwie weiter. Wenn aber plötzlich alles kippen würde, wäre dann alles besser oder schlechter und für wen? Würden damit auch die vorherrschenden Ideologien von Ungleichwertigkeit und Ausbeutung enden? Ich glaube, das war mein Ansatzpunkt, einige überspitzte, postapokalyptische Storys zu schreiben, von denen diese hier eine ist.

Schick uns ein Foto/gemaltes Bild/Meme/YouTube-Video, das für deinen Text stehen könnte oder dich dazu inspiriert hat und schreib ein paar Sätze dazu.

Feuer im Camp. Irgendwas geht immer.

Wenn es nach dir ginge: Was sollten die Lesenden aus deinem Text mitnehmen?

Sich weder von den gesellschaftlichen Zuständen noch der vermeintlich eigenen Ohnmacht passiv machen zu lassen.

Vielen Dank für deine Antworten.

Sebastian Behr (*1986) ist im Erzgebirge aufgewachsen und lebt in Leipzig. Er studierte bis 2020 Literarisches Schreiben am Deutschen Literaturinstitut, hat als Stipendiat an der Autorenwerkstatt des LCB 2018 und als Finalist am open mike 2019 sowie 2021 teilgenommen. Er schreibt Prosa und Lyrik.


Clemens Böckmann: how i missed the war

how i missed the war von Clemens Böckmann schildert einen zukünftigen Krieg in 74 Postkarten. Wir lesen die eingedruckten Bildbeschreibungen der alten Karten, die ein nicht mehr vorhandenes Land, Deutschland, preisen. Dazu die Texte, die die Protagonistin darauf geschrieben hat. Sie erzählen von einem Land im Krieg, von Verletzten, Verstümmelten, von Plünderungen und Gewalt. Im Lichte der aktuellen politischen Diskussionen in Deutschland und dem gleichzeitigen Krieg in der Ukraine führt der Text erschreckend vor Augen, wie wenig Bewusstsein hierzulande dafür herrscht, wie nah am Abgrund wir und die Welt allgemein eigentlich stehen.

Wir haben Clemens Böckmann ein paar Fragen zum Text gestellt:

Clemens Böckmann
© C. Haentjes

Warum hat dich das von Judith Schalansky ausgerufene Thema zum Wortmeldungen Förderpreis 2023 animiert, einen eigenen Text zu schreiben?

Tatsächlich ist der Text unabhängig von der Ausschreibung schon im Frühjahr 2022 entstanden. Ich hatte mir eine kleine Schreibaufgabe gestellt, die es jeden Tag zu lösen galt. Manchmal, wenn mich ein Thema beschäftigt und es mir mehr oder weniger unbewältigbar erscheint, stelle ich mir solche Aufgaben für jeden Tag. Damit werden die Fragen nicht geklärt, aber ich kann sie Tag für Tag ein Stück weiter schieben.

Schick uns ein Foto/gemaltes Bild/Meme/YouTube-Video, das für deinen Text stehen könnte oder dich dazu inspiriert hat und schreib ein paar Sätze dazu.

Wenn es nach dir ginge: Was sollten die Lesenden aus deinem Text mitnehmen?

Das kann ich nicht wirklich beantworten. Vielleicht sollten sie stattdessen lieber den Text einfach mitnehmen und an anderer Stelle nochmal lesen, auf dem Klo, in der U-Bahn, auf dem Fahrrad, beim Kochen, Putzen oder Haareschneiden. Vielleicht können sie auch ihre Ablehnung dem Text gegenüber mitnehmen. Oder sie schreiben eigene Kapitel, stellen diese um, kürzen, streichen und zerschneiden. Das wäre schon sehr viel.

Vielen Dank für deine Antworten.

Clemens Böckmann (*1988) studierte in Kiel, Lissabon und Tel Aviv. 2018 machte er seinen Abschluss im Bereich Sprache und Gestalt bei Oswald Egger an der Muthesius Kunsthochschule in Kiel. Er arbeitet als Autor, Filmemacher und Herausgeber in Leipzig. Er ist sowohl im hochroth Verlagskollektiv als auch in der Christian-Geissler-Gesellschaft tätig.


Nicole Collignon: Dinge, die passieren und passiert sind

Mit ausdrucksstarker Sprache zeichnet Nicole Collignon in Dinge, die passieren und passiert sind das Bild einer Welt, in der die Ozeane gekippt sind und das Leben gänzlich aus ihnen gewichen ist. Ölpest auf Ölpest haben das Wasser zu einem fettigen Film werden lassen, der nun auch als Regen auf das Land niedergeht. Alles glänzt in schillernden Farben, doch nichts funktioniert mehr. Das Bewusstsein der Menschen hat sich verschoben, ebenso wie die Sprache, die nicht mehr ganz einfangen kann, was wirklich passiert. Eine ebenso trippige wie düstere Phantasie, deren Anfänge schon lange hinter uns liegen.

Wir haben Nicole Collignon ein paar Fragen zum Text gestellt:

Nicole Collignon

Warum hat dich das von Judith Schalansky ausgerufene Thema zum Wortmeldungen Förderpreis 2023 animiert, einen eigenen Text zu schreiben?

Der Text ist schon früher entstanden. Ich sendete ihn beim Aufruf ein, weil er sich mit der Klimakrise und anderen Themen wie sexuellen Übergriffen auseinandersetzt, ohne sich in seiner Form um Realismus zu bemühen. Für mich lässt das andere Formen des Gespräches zu – ich kann so auch einen Fisch sprechen lassen, und er kann einem Menschen auch eine Watschen geben. 
Für mich stellt der Aufruf auch die Frage, wie mit einer realen Dystopie erzählerisch umgegangen werden kann. Muss diese als Dystopie übersetzt werden, darf oder soll es Hoffnung geben (oder auch eine Umkehr, siehe Kipppunkt)?
Narrative ist immer ein Mittel, um Menschen zum Handeln zu bringen. Wenn wir die Hanses dieser Welt sind, kann uns eine Geschichte, wie ein Fisch, mit menschlichen Händen in die Backen kneifen und den Blick aufs Meer, die Katastrophen, den Horizont unseres eigenen Handelns richten lassen. 

Schick uns ein Foto/gemaltes Bild/Meme/YouTube-Video, das für deinen Text stehen könnte oder dich dazu inspiriert hat und schreib ein paar Sätze dazu.

Das Video dieser Seite. Dazu: Am dritten Juli 2021 gab es wegen eines Gaslecks einer Unterwasserpipeline des Ölkonzerns Pemex im Golf von Mexiko einen Brand im Meer. Er fand etwa 150 Meter von einer Bohrinsel der Ölförderanlage Ku-Maloob-Zaap statt. 
Ich habe erst nach dem Schreiben des Textes davon gehört. Genannt wurde es »eye of fire«, oder auch »Feuerauge«.

Wenn es nach dir ginge: Was sollten die Lesenden aus deinem Text mitnehmen?

In meinem Text gibt es viele Erzählstränge, die sich auf magische Art treffen, viele Anfänge und Enden im Ende. Ich wünsche mir, dass die Figuren mit den Lesenden bleiben und dass das, was vor und nach dem erzählten Ausschnitt mit ihnen passiert, sie beschäftigt. Ich wünsche mir, dass die Bilder des Textes bei ihnen bleiben. Es gibt noch keine Märchen von der Klimakrise, obwohl sie nun Alltag ist. Dieser Text ist kein Märchen, aber er bietet an, die Klimakrise nicht nur in belegbaren Bildern zu erzählen. 

Vielen Dank für deine Antworten.

Nicole Collignon (*1999) studiert Sprachkunst im Master an der Universität für Angewandte Kunst in Wien. Sie schreibt Kurzprosa, Essay, Lyrik und Prosa und ist Teil der Lesebühne SEHR ERNSTE. Gerade arbeitet sie hauptsächlich an ihrem ersten Roman sowie zusammen mit dem Maler Nick Horter an einem Perzeptionsglobus.


WORTMELDUNGEN – Der Literaturpreis für kritische Kurztexte wird jährlich von der Crespo Foundation ausgelobt. Er ist mit 35.000 Euro dotiert und wird für herausragende literarische Kurztexte verliehen, die sich mit aktuellen gesellschaftspolitischen Themen auseinandersetzen. Der mit 15.000 Euro dotierte gleichnamige Förderpreis schließt an den Literaturpreis an und soll junge Autor*innen motivieren, in Auseinandersetzung mit dem Thema des Gewinner*innentextes eine eigene literarische Position zu formulieren.


Disclaimer: Dieser Blogbeitrag ist Teil einer bezahlten Kooperation mit der Crespo Foundation.

Kategorie Wortmeldungen-Förderpreis

Ich bin im Niemandsland von NRW zwischen Tagebauten und Kraftwerken aufgewachsen, da gab es nur wenige Argumente gegen ausgiebiges Lesen, um der Tristesse zu entkommen. Dann ging es nach Aachen, später nach Köln, dann nach Göttingen und nun lebe ich in Berlin und arbeite als Buchhersteller. Nebenbei spiele ich noch in Bands, meine zweite Leidenschaft ist ganz klar die Musik! Oder doch Kochen und Essen? Schwer zu sagen.

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