Hami Nguyen: Das Ende der Unsichtbarkeit

In ihrem Sachbuch Das Ende der Unsichtbarkeit zeigt Hami Nguyen anhand ihrer eigenen Geschichte, warum es dringend an der Zeit ist, endlich über anti-asiatischen Rassismus zu sprechen.

Cover Ngyuen, Unsichtbarkeit

Ostdeutschland, Anfang der 1990er Jahre. Die Mauer ist gefallen, die DDR gibt es nicht mehr, die neuen Bundesländer sind geprägt von Arbeitslosigkeit und Verdruss. Ein guter Nährboden für eine Neue Rechte, die sich in Windeseile formiert und die »Baseballschlägerjahre« einläutet. Die grausamen Höhepunkte dieser Zeit bilden Angriffe der Neonazis auf Asylbewerber*innenwohnheime, mit besonderer Härte 1991 in Hoyerswerda und 1992 in Rostock-Lichtenhagen.

Mit Blick auf die Opferseite wird klar, dass es sich hierbei um Rassismus, konkreter um anti-asiatischen Rassismus handelt. Denn in beiden Fällen befanden sich überwiegend vietnamesische Menschen, ehemalige Vertragsarbeiter*innen der DDR in den Gebäuden, die mit Molotowcocktails und dergleichen vom Mob angegriffen wurden. Doch viel zu lange werden nach meinem Empfinden hier nur die Täter*innenseite, die Faschos mit ihren Springerstiefeln und Bomberjacken in den Blick genommen. Deshalb ist es umso wichtiger, einmal genauer hinzuschauen: Wo fängt anti-asiatischer Rassismus an? Wie äußert er sich in unserer Gesellschaft? Und wie weit sind wir gekommen seit diesen Angriffen kurz nach der Wende?

In ihrem Sachbuch Vom Ende der Unsichtbarkeit widmet sich Hami Nguyen diesen Fragen und zeigt anhand ihrer eigenen Geschichte, wie stark sich anti-asiatischer Rassismus durch unsere weiße Mehrheitsgesellschaft zieht. Als Tochter eines ehemaligen vietnamesischen Vertragsarbeiters kommt Nguyen zusammen mit ihrer Familie in das gerade wiedervereinte Deutschland. Sie wird hier sozialisiert, wächst hier auf und muss doch über Jahre hinweg alle drei Monate wieder bangen, ob die Aufenthaltsgenehmigung verlängert wird. Das Geld ist stets knapp, die Familie lebt auf engstem Raum in so genannten Asylbewerberheimen – eine entspannte Kindheit sieht anders aus. Sie lernt schnell, sich anzupassen – bloß nicht auffallen, ob nun in der Nachbarschaft oder der Schule. Denn die Stimmung in diesen Jahren gegen Einwander*innen ist weiterhin mehr als feindselig.

Die Beschreibung dieser durch Rassismus hervorgerufenen Unsichtbarkeit einer ganzen Community schmerzt nicht nur beim Lesen, sie zeigt auch, wie schnell positiver Rassismus entstehen kann. Wenn Asiat*innen als besonders fleißig, ruhig, immer höflich beschrieben werden, sind das ebenfalls Vorurteile und Stereotype, die einer ganzen Bevölkerungsgruppe einfach angedichtet werden. Auch das ist internalisierter Rassismus, auch das führt zur Ausgrenzung bestimmter Menschen, die von der weißen Mehrheitsgesellschaft als »anders« gelabelt werden.

Diese Machtstrukturen und Diskriminierungen gegenüber asiatisch gelesenen Menschen legt Hami Nguyen auf unglaublich kluge sowie faktenbasierte Weise in ihrem Buch offen und verknüpft dabei auch deutsche mit vietnamesischer Geschichte. Das Ende der Unsichtbarkeit berührt einerseits durch die persönliche Perspektive und zeigt andererseits, warum es so wichtig ist, über diese weitere Facette der herrschenden Rassismen zu reden. Für mich eines der besten Sachbücher 2023 und eine Bereicherung für den Diskurs über Diskriminierungsformen in diesem Land.

Hami Nguyen: Das Ende der Unsichtbarkeit | Ullstein | 272 Seiten | 22,99 Euro | Erschienen im Oktober 2023

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Aufgewachsen im schönen Brandenburg lernte ich schon früh die ländliche Einöde lieben und verteufeln zugleich. Heute kehre ich immer wieder gern heim, wohne allerdings lieber in urbanen Räumen. Lesen geht ja zum Glück überall und bietet Ausflüge in diverse Welten. Hier schreibe ich über meine Lektüren.

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