Überall und nirgendwo: Gorbach von Hank Zerbolesch erzählt die vielen verschiedenen Facetten einer Kleinstadt in einem temporeichen Erzählreigen.
Was passiert eigentlich so in einer Kneipe, irgendwo in einer beliebigen Stadt? Da denkt man an angeregte Gespräche, Bier natürlich, wohl auch Zigarettenrauch, und natürlich Musik. Im Hintergrund. Aber auch an Stammgäste, die schon mittags aufschlagen und sich ihren Tag von Bier zu Bier strukturieren. Immerhin gibt es dabei Gesellschaft.
Aus genau einer solcher erstmal etwas tristen Gesellschaft entspringt in Gorbach von Hank Zerbolesch der Funke zu einem atemlosen Erzählreigen. Von Kapitel zu Kapitel geben sich verschiedene Personen der Stadt die Klinke in die Hand. Die Perspektive wechselt dabei, sodass manche Protagonist*innen direkt aus der ersten Person erzählen, andere wiederum aus der dritten erzählt werden. Das fügt dem Reigen noch ein subtiles Spiel mit Nähe und Distanz hinzu.
So lesen wir von kleinen und großen Schicksalen. Manche Menschen verlieren sich in Einsamkeit, wie etwa der russische Vater eines erfolgreichen Geschäftsmanns, der einfach im Gästezimmer geparkt wird und seinen Kummer in Wodka ersäuft. Diesen kauft er immer an einem Kiosk, dessen Besitzerin wiederum Pläne mit einem anderen Mann hat, der immer wieder bei ihr Wein kauft – rein finanziell zu einem lächerlich geringen Preis, doch dürfte er bald einen viel höheren dafür zahlen müssen.
Gorbach entfaltet damit ein Panorama, das den Mikrokosmos der Stadt in kurz angerissenen Geschichten erzählt und lebendig macht. Dabei sind die tragischen und traurigen Geschichten zwar etwas in der Überzahl, insgesamt ist das Bild aber ausgeglichen und nicht einseitig. Der Roman wirft dabei Licht hinter das vordergründige Geschehen, zeigt die ganz privaten kleinen Dramen und aber auch Erfolge der Menschen, die eine Stadt erst zu dem machen, was sie ist. Tendenziell schaut der Band dabei immer eher auf den ärmeren, weniger privilegierten Teil der Gesellschaft.
Wie immer bei Geschichtensammlungen oder eben auch einem Reigen wie Gorbach ist die Herausforderung, die Spannung bei den Lesenden trotz ständig wechselndem Fokus aufrechtzuerhalten. Das gelingt dem Roman meistens gut, auch wenn einige Geschichten schwächer sind als andere. Da sie meist nicht über zehn Seiten hinausgehen, ist das zu vernachlässigen. Stilistisch ist der Band abwechslungsreich, die Personen bekommen durchaus eigene Sounds verpasst. Es gibt dabei eine gewisse Tendenz zum hemdsärmeligen Humor, die sich aber zum Glück in Grenzen hält.
Gorbach von Hank Zerbolesch erzählt eine Stadt aus der Sicht seiner Bewohner*innen und schafft dabei ein lebendiges Panorama. Der Erzählreigen bietet ein gutes Tempo und viel Abwechslung, mit der die dunklen Ecken der Stadt ins Licht gerückt werden.
Hank Zerbolesch: Gorbach | Steidl | 192 Seiten | 22 Euro | Erschienen im April 2024