Kurz angerissen, diesmal mit Kontur eines Lebens von Jaap Robben, Krypto-Kunst von Kolja Reichert und Gefühle in Zeiten des Kapitalismus von Eva Illouz.
Jaap Robben: Kontur eines Lebens
Die junge, freiheitsliebende Frieda verliebt sich Anfang der 60er-Jahre in den um einiges älteren und zudem verheirateten Otto. Eine romantische Affäre entspinnt sich zwischen den beiden – mit weitreichenden Folgen. Frieda wird schwanger, ein Skandal zur damaligen Zeit. Ihre streng katholische Familie verstößt sie, und auch Otto begleitet sie lediglich bis zur Geburt, bevor er für immer verschwindet. Das Kind darf Frieda nicht großziehen.
Das alles erzählt die 81-jährige Frieda aus der Rückschau, nachdem ihr späterer Ehemann verstorben ist und sie nun in ein Altersheim umziehen wird. Nach und nach entfaltet sich das Trauma eines Lebens, das so oder so ähnlich wohl vielen Frauen zu dieser Zeit widerfahren ist. Kontur eines Lebens ist ein erschütternder Roman, der die gesellschaftlichen Verhältnisse des vergangenen Jahrhunderts sehr nahbar einfängt. Der Erzählstil ist einfach gehaltensodass der Fokus bei diesem Roman voll und ganz auf der Handlung liegt – mir persönlich streckenweise aber zu pathetisch.
Besonders hervorheben möchte ich die wirklich gut recherchierten Vorgänge während einer Geburt und auch danach – leider nicht selbstverständlich für Autoren und umso schöner, dass Jaap Robben sich hier Unterstützung von Expert*innen geholt hat, wie man dem Dank entnehmen kann. [j]
Jaap Robben: Kontur eines Lebens | Aus dem Niederländischen von Birgit Erdmann | DuMont | 336 Seiten | 24 Euro | erschienen im August 2023
Kolja Reichert: Krypto-Kunst
Es wirkt mittlerweile eigenartig weit weg und vergangen, aber die Corona-Pandemie ist erst seit verhältnismäßig kurzer Zeit vorbei. Lockdowns, Einsamkeit, Angst und tragische Todesfälle liegen hinter uns, viele Menschen leiden immer noch an den Folgen von Erkrankungen oder traumatischen Erfahrungen. Einen etwas abseitigen Effekt gab es aber noch: Da man nicht in Galerien und Museen konnte, kamen im Kunstmarkt NFTs groß in Mode.
NFT bedeutet Non-Fungible Token und ist demnach eine einzigartige digitale Datei, die per Smart Contract in einer Blockchain hinterlegt ist, wodurch sie sich von ihren Millionen Kopien unterscheidet, und meist in Krypto-Währungen bezahlt wird. Also am Ende eine als Original beglaubigte Datei. Im Kunstmarkt sind dies dann digitale Gemälde, manchmal auch digitale Kopien von analogen Werken. Der NFT-Trend während der Pandemie ließ die Preise für NFTs in den Himmel schießen, sodass naive kleine Pixelwerke Hunderttausende Euros kosten konnten, wenn sie gut vermarktet wurden.
Kolja Reichert erklärt in seinem Band der Digitalen Bildkulturen das Phänomen Krypto-Kunst in einfachen Worten und mit vielen Beispielen. Liest man den Band heute, wird schnell klar, wieso NFTs kaum noch eine Rolle spielen. Die Blase ist mittlerweile geplatzt, zahllose Kunstkenner*innen und Anleger*innen sitzen nun auf Dateien, die ihren Wert schon lange verloren haben. Gleichzeitig hatte das Phänomen aber auch einen emanzipatorischen Wert, da sich Künstler*innen ohne Galerien etc. selbst vermarkten und unmittelbar Geld verdienen konnten. Eine unterhaltsame Reise in eine immer noch sehr nahe, aber weit entfernt erscheinende Vergangenheit. [s]
Kolja Reichert: Krypto-Kunst | Wagenbach | 80 Seiten | 12 Euro | erschienen im Oktober 2021
Eva Illouz: Gefühle in Zeiten des Kapitalismus
2023 wurde das suhrkamp taschenbuch wissenschaft, kurz stw, 50 Jahre alt. Die Bände sind eng mit meinem Studium verbunden. So oft habe ich abgegriffene Bände der Reihe gelesen, die trotz ihres Alters immer noch ordentliche Dienste leisteten, und meine Unterstreichungen denen der Vorbesitzer*innen hinzugefügt. Etwa Émile Durkheims Die elementaren Formen des religiösen Lebens, Ernst Blochs Das Prinzip Hoffnung oder diverse Werke von Gershom Sholem und Walter Benjamin wecken immer noch Gefühle dieser aufregenden Zeit, wenn ich sie heute in die Hand nehme.
Zum Jubiläum spendiert Suhrkamp ein paar ausgewählten Werken limitierte Jubiläumsausgaben. Ich habe mit Gefühle in Zeiten des Kapitalismus ein kleines Bändchen mit Adorno-Vorlesungen von Eva Illouz gelesen. Ganz im Sinne Adornos beschreibt Illouz darin den sich verändernden Warencharakter von Gefühlen im 20. Jahrhundert. Verschiedene Strömungen wie das Aufkommen der Psychologie, des mittleren Managements und des Feminismus greifen dabei ineinander und machen Gefühle zu Gegenständen der Betrachtung und Diskussion. So sehr diese Entwicklung emanzipatorische und gesundheitliche Verbesserungen möglich machte, so sehr verdinglichte sie Emotionen auch und trug damit dazu bei, sie vom eigentlichen Empfinden zu entfremden – also quasi die Aporien der psychischen Aufklärung.
Der Band ist – auch wieder Adorno-like – nicht leicht zu lesen, die Ausführungen sind sehr dicht und die sozialkonstruktivistische Grundhaltung manchmal schwer zu ertragen, da positive Effekte etwa von Psychotherapie für Individuen hinter den strukturellen Effekten zurücktreten bis verschwinden. Das allerletzte Kapitel holt all dies aber wieder ein und bringt die fordernden 170 Seiten zu einem sehr gut verständlichen und auch gewinnbringenden Ende. [s]
Eva Illouz: Gefühle in Zeiten des Kapitalismus | Aus dem Englischen von Martin Hartmann | Suhrkamp | 170 Seiten | 16 Euro | erschienen im April 2023