Musik und die ewige Suche: Lauter von Stephan Roiss ist eine Suche nach dem Selbst zwischen Proberaum und Italien, Musik und Meditation, Drogen und Sex. Ein wilder Ritt von Österreich bis ins südlichste Italien.
Leon lebt sein Leben – also so richtig. Er tourt mit seiner Band, genießt den Rausch der Musik wie der diversen Substanzen, die drumherum schwirren. Doch er wird jäh aus seiner Schwerelosigkeit gerissen, als ihn an irgendeinem gottverlassenen Ort – okay, es ist einfach nur Kuba – die Nachricht vom nahenden Tod seiner Mutter erreicht. Er versucht alles, um rechtzeitig wieder zurück in die Schweiz zu kommen, um sich zu verabschieden, doch er scheitert. Gebrochen zieht er sich in ein Einsiedlerleben zurück, verwundet und voller Ablehnung für seinen Vater, den er für sein eigenes Versagen verantwortlich macht.
Sein Leben nimmt ganz langsam wieder Fahrt auf, eine neue Band, eine neue, noch unsichere Liebe, auch wieder ein bisschen Rausch und Leichtigkeit kehren zurück. Doch dann kommt der zweite Schlag des Schicksals: Er hat Krebs. Wieder schwebt der Tod über ihm, diesmal sein eigener, auch wenn der Krebs durchaus behandelbar ist. Wieder ergreift er die Flucht, diesmal zu seinem früheren Bandkollegen, der mittlerweile eine Art Meditationsguru in Venedig ist. Doch dessen Plan, Leon über Meditation zu sich selbst zu führen, geht nicht auf, Leon flüchtet wieder, um sich nach einem wilden Trip durch Italien auf der Vulkaninsel Stromboli wiederzufinden.
Lauter von Stephan Roiss ist ein wilder Trip, der Tempo und Themen schnell wechselt und dadurch viel mitbringt. Die Musik ist die grundlegende Konstante in Leons Leben, und auch das Buch ist wie ein dynamischer, langer Song angelegt. Es geht langsam los, steigert sich in Moll-Akkorden zum Tod der Mutter, fällt ab, steigt ganz langsam und vorsichtig wieder an bis zur Krebsdiagnose, um dann nach kurzem Break in ein wildes Freejazz auszubrechen, bis ganz zum Schluss milde Dur-Akkorde eine Versöhnung mit sich selbst und dem eigenen Leben andeuten.
Es ist gerade diese Dynamik, die Lauter lesenswert macht, gepaart mit der Musik, die ziemlich gut beschrieben und eingesetzt wird, aber nie in angeberisch wirkende fachliche Exkurse abdriftet. So wächst einem Leon mit seinen sehr normalen Problemen und der Unfähigkeit, mit diesen gut umzugehen, schnell ans Herz. Für mich hätte der Trip von Venedig bis nach Stromboli aber deutlich kürzer sein können, da er zu großen Teilen in unzusammenhängenden Eindrücken und Blackouts geschildert wird, was auf die Dauer etwas beliebig erscheint und ermüdet. Das hätte kürzer genauso gut gewirkt.
Lauter von Stephan Roiss ist ein wilder Trip eines Mannes, der mühsam lernen muss, sich seinen eigenen Gefühlen zu stellen und nicht bei jedem emotionalen Problem die Flucht zu ergreifen. Damit ist er gewissermaßen auch ein Generationenroman für die älteren (meist männlichen) Millenials wie auch mich, deren Boomer-Eltern das Reden über Gefühle nicht erfunden und Verdrängung als Standardlösung weitergegeben haben.
Stephan Roiss: Lauter | Jung und Jung | 240 Seiten | 23 Euro | Erschienen im März 2024