Dichtung und Dystopie: Lyrisch erzählt Pol Guasch in seinem Debütroman Napalm im Herzen von Gewaltherrschaft und Liebe, Unterdrückung und dem Drang nach Freiheit. Beklemmend aktuell.
Strich für Strich kratzt ein Stift in die Wand. Über 900 Tage dauert der Ausnahmezustand schon an, jeden Tag kommt ein Strich hinzu. Seit es einen Zwischenfall in der nahegelegenen Fabrik gab, in der alle Menschen der Gegend arbeiten, leben sie in einer militarisierten Zone. Immer mehr Menschen verschwinden. Sind sie gegangen, geflohen, wurden sie umgebracht? Immer wieder wird der Nachthimmel hell erleuchtet, die Fabrik kommt nicht zur Ruhe. Die Menschen werden streng kontrolliert, ihre lokale Sprache ist verboten. Zum Glück sind Mutter und Boris noch da.
Das Setting von Napalm im Herzen, dem Debütroman des katalanischen Autors Pol Guasch, ist drastisch und düster. In drei getrennten Erzählschichten wird die dystopisch anmutende Welt geschildert, die immer mehr von Tod und Zerfall geprägt ist. Der Erzähler spricht im Vergangenheitsstrang von der Zeit vor der Katastrophe, seinem Leben mit seiner Mutter und dem Beginn seiner Beziehung zu Boris.
Der Gegenwartsstrang ist nach der Katastrophe und geprägt von Verzweiflung, aber manchmal auch Hoffnung im Angesicht der höchst unsicheren Zukunft. Zu den beiden Strängen sind noch Briefe gestellt, zunächst vom Erzähler an Boris, dann ein sehr langer von der Mutter an den Sohn, der in Teilen immer mehr von der Gedankenwelt der Mutter preisgibt.
So schafft Napalm im Herzen es, im Zusammenspiel der sich langsam entwickelnden Plots und der sehr lyrischen, die Themen oft sehr weit umkreisenden Sprache seine düstere Welt zu erschaffen und dabei die drei Personen mit jedem Kapitel ein klein wenig schärfer zu stellen. Das Buch lebt von der Sprache des Protagonisten, der unsicher und unzuverlässig ins Nichts spricht. Auf einer höheren Ebene wird immer klarer, dass seinen Schilderungen nicht immer ohne Weiteres zu trauen ist.
Der lyrische Ton gibt Napalm im Herzen eine besondere Stellung im momentan ziemlich breiten Feld dystopischer und apokalyptischer Texte. Es fesselt, die sich umeinander rankenden Stränge zu verfolgen und immer mehr in die düstere Welt sowie die Gedanken des Erzählers einzutauchen. Leider schafft der Roman es nicht ganz, die Spannung bis zum Ende durchzuhalten. Die beiden Stränge kommen sich immer näher, bis nur noch die Zeitformen sie voneinander trennen, was für mich dann den Reiz verliert und dazu führt, dass der Roman ein wenig in formaler Schönheit stirbt, ohne dass dies noch in sinnvoller Verbindung zum Inhalt steht.
Pol Guasch legt mit Napalm im Herzen einen sprachlich beeindruckenden Debütroman vor, der eine dunkle Welt und einen rätselhaften Erzähler in den Mittelpunkt rückt. Er bringt viel sprachliche Feinheit in die Dystopie, hätte zum Ende hin aber ein wenig mehr Esprit vertragen können.
Pol Guasch: Napalm im Herzen | Wallstein | Aus dem Katalanischen von Kirsten Brandt | 270 Seiten | 22 Euro | Erschienen im Juli 2024