Manche Bücher sperren sich dagegen, gelesen zu werden. Aber es ist nicht der Inhalt, sondern tatsächlich das Buch. Ein kleiner Essay über Typographie, die Lust auf’s Lesen macht.
Ein Buch hat immer zwei Erscheinungsweisen. Auf der einen Seite ist da der Inhalt, der gelesene Text. Also genau das, was der*die Autor*in geschrieben hat und was vom Verlag aufbereitet und zum Druck gegeben wurde. Das Ergebnis von Druck und Bindung ist die zweite Erscheinungsweise, das materielle Buch. Es hat ein Cover, einen Einband und Seiten, auf denen der Text in gestalteter Form zu lesen ist. Die Gestaltung des Texts nennt man Typographie, und ausschließlich um diese soll es hier gehen.
Typographie kennt unendliche Möglichkeiten, einen Text darzustellen, aber sehr heruntergebrochen eigentlich nur zwei Zwecke: Entweder soll der Inhalt so gut wie möglich lesbar gemacht werden oder die Typographie selbst soll in Erscheinung treten. Der erste Fall ist die Regel, der zweite ein Spezialfall, den wir alle aus der Schule kennen: etwa in der Konkreten Poesie, mit Dichtern wie Christian Morgenstern, Guillaume Apollinaire oder Ernst Jandl, oder der Kalligraphie. Hier wird die Form des Textes oder der Schrift mit Bedeutung aufgeladen, die sich in Beziehung zum Inhalt stellt. Auch darum soll es hier nicht gehen, sondern nur um die erste Form, den Regelfall des reinen Lesetextes.
Es gibt einen sehr einfachen Leitsatz: Gute Typographie ist unsichtbar. Sie soll wie ein sehr gut geputztes Fenster den Blick auf den Text ohne Einschränkung zulassen, das Lesen nicht stören, sondern es im Gegenteil durch eine dem Text angemessene Gestaltung so leicht wie möglich machen. Schauen wir auf die Belletristik, haben wir es meist mit »glattem« Text zu tun. Teile, Kapitel, Text – das war’s. Wir brauchen also lediglich zwei Arten von Überschriften für Teile und Kapitel und eine Schrift. Entscheidend für das Lesen ist am Ende aber nur die Gestaltung und Auswahl der Schrift.
Die Schriftgröße darf weder zu klein noch zu groß sein, ebenso der Zeilenabstand sowie die Zeilenbreite, die auf der Buchseite platziert werden. Eine Zeile sollte nicht mehr als etwa 60 bis maximal 70 Anschläge enthalten, also Zeichen inklusive Leerzeichen. Wird dies überschritten, findet das Auge nur noch schwer den Weg zur nächsten Zeile, und damit würden wir gegen den allerersten Grundsatz der Typographie verstoßen, es nämlich dem Auge so leicht wie möglich zu machen, den Text zu lesen.
Gleiches gilt für den Zeilenabstand: zu wenig macht den Text zu dicht, zu viel zu locker, sodass auch hier das Auge keine klare Linie zur nächsten Zeile findet. Auch die Anzahl von Zeilen auf der Seite darf nicht zu hoch sein, da sehr lange Seiten das Lesen anstrengend machen. Und natürlich muss auch die Schrift geeignet sein. Sie muss klare Linien bilden, weshalb in der Belletristik fast ausschließlich Schriften mit Serifen, den kleinen Füßen am Ende jedes Strichs, eingesetzt werden. Außerdem sollte sie weder zu dünn noch zu fett sein, um einen guten Kontrast auf dem Papier herzustellen.
Alles in allem stellt das Zusammenspiel von Zeilenbreite, -abstand und -anzahl sowie Schriftgröße und -art einen möglichst gleichmäßigen Text her, der auf jeder Seite den gleichen Grauwert hat, also eine angenehm graue Fläche auf dem Papier ergibt – nicht zu hell, nicht zu dunkel und ohne große Schwankungen. Je nach Text können die Entscheidungen für Schriftart etc. sehr anders ausfallen, da es zum Beispiel einen großen Unterschied macht, ob ein Text vor allem lange oder kurze Absätze hat, eher lange oder kurze Wörter verwendet, viele kurze oder wenige lange Kapitel hat. Es braucht also durchaus ein geübtes Händchen, immer die richtigen Entscheidungen zu treffen.
So weit, so gut. Jetzt kommt die große Frage: Wieso erscheinen immer wieder Bücher, bei denen das Lesen zur Tortur wird? Ein aktuelles Beispiel und mein ganz persönlicher Anlass für diesen Text ist der Roman Hyphen von Luise Meier, auf den ich mich sehr gefreut habe. Das Cover ist schick gestaltet, der Vorschautext vielversprechend – doch dann beim Aufschlagen die große Enttäuschung: die Schrift ist sehr klein, die Zeilen breit, der Zeilenabstand gering und die Anzahl der Zeilen auf der Seite endlos – und das in einem für Belletristik recht großen Format. Ein Buch, das sich gegen das Lesen sperrt und das ich mir und meinen Augen nach einem langen Tag abends im Bett einfach nicht antun kann und will. Hier könnt ihr eine Leseprobe anschauen und euch selbst ein Bild machen, hier ist Plasmatropfen von Joshua Groß als gut lesbarer Vergleich im selben Format.
Ich will nun nicht über die Gründe spekulieren, denn die können immer sehr individuell sein. Sicher ist aber, dass hier ein eigentlich dickes Buch von vielleicht 500 Seiten (mit guter Typographie) auf eine für einen Debütroman gängige, besser verkäufliche Länge von 336 Seiten gepresst wurde – zum Leidwesen der Leser*innen und natürlich des Inhalts, der auf der Strecke bleibt. Die Konventionen des Buchmarkts schlagen in ähnlicher Weise immer wieder zu. Hier muss ein Debütroman kurz erscheinen, obwohl er eigentlich ein dickes Buch verlangt. Krimis dagegen müssen dick sein, Thriller und historische Romane ebenso, von Fantasy und Science Fiction will ich gar nicht anfangen.
Gott bewahre nun, dass der Nachfolger etwa eines Erfolgskrimis mal deutlich kürzer sein sollte! Dann muss ausgebessert werden: mehr Zeilenabstand, größere Schrift, kürzere und weniger Zeilen auf der Seite, dickeres Papier. Alles nur, um den potenziellen Käufer*innen im Buchladen zu suggerieren, dass sie wieder genau das gleiche Erlebnis bekommen, kein Stück weniger (und zum gleichen Preis natürlich). Dass sich all das dann vielleicht schlechter Lesen lässt und am Ende den schalen Eindruck hinterlässt, hier vielleicht irgendwie getäuscht worden zu sein, ist schade bis ärgerlich. Der Markt erfordert äußerlich konforme Produkte, die jedoch im Innern oft unter dieser Konformität leiden, Qualität einbüßen und das Lesen im schlimmsten Fall anstrengend machen.
Was können wir nun tun, um das zu verhindern? Ziemlich wenig, zugegeben, denn als Leser*innen stehen wir ganz am Ende der eingefahrenen Kette aus Konventionen und Zwängen. In ökonomisch unsicheren Zeiten ist es auch nicht sehr wahrscheinlich, dass Verlage mutiger werden und bewusst gegen Konventionen verstoßen, ausprobieren, ob es nicht für das Publikum in Ordnung ist, dass ein Krimi auch mal dünner sein kann, dafür aber eben auch etwas weniger kostet – aber gut lesbar ist! So gibt es kein zu hoffnungsvolles Ende in meinem kleinen Plädoyer für eine gute Typographie, aber vielleicht kann es ja hier oder da Licht ins Dunkel bringen, wenn wir uns bei einem Buch, das uns eigentlich gefällt, herumquälen und einfach nicht erkennen, warum.
Hier gibt es noch einen aktuellen Podcast zum Thema: Lakonisch elegant meets 54 books sprechen mit Gast Florian Kessler vom Hanser Verlag über dicke Bücher und die Macht des Markts. Anlass war hier Clemens Meyers aktueller Roman Die Projektoren und die Besprechungen dazu, die nie ohne Erwähnung des Umfangs von über 1.000 Seiten auskommen. Diese sind übrigens typographisch nicht zu beanstanden. Auch hier ist viel Text auf den Seiten, der Roman sollte definitiv nicht noch dicker werden, aber die Zeilen sind nicht zu lang, Schriftgröße und Zeilenabstand angenehm gewählt. Passt also.