Antje Rávik Strubel: Der Einfluss der Fasane

Suizid und Shitstorm: In Der Einfluss der Fasane zeigt Antje Rávik Strubel eine erfahrene Journalistin, die durch ein tragisches Ereignis aus der Bahn geworfen wird und mit sich und ihrem Leben hadert.

Strubel, Einfluss der Fasane, Cover

Hella Karl hat alles unter Kontrolle. Als Frau in ihren Fünfzigern weiß sie alles über sich und ihre Bedürfnisse, kann ihrem zehn Jahre jüngeren Mann da immer ein Vorbild sein. Auch auf der Arbeit ist sie mit allen Wassern gewaschen. Sie hat in ihrer Karriere als Journalistin schon so ziemlich alles gesehen, ist top vernetzt und leitet seit einiger Zeit die Feuilleton-Seite einer großen Tageszeitschrift. Sie steht mit beiden Beinen im Leben und liebt dieses Leben. Gerade auch, weil sie es in ihrer Kindheit und Jugend anders kennengelernt hat. Sie ist stolz auf ihren Aufstieg.

Doch als sie eines Tages die Nachricht vom Selbstmord eines bekannten Theaterintendanten erreicht, bekommt das perfekte Bild Risse. War nicht sie es, die erst vor Kurzem einen sehr zugespitzten Artikel über seinen misogynen Führungsstil veröffentlicht hat, bei dem die Grundlage eher schwammig als stichhaltig war? Und das, obwohl sie sich immer von diesem Mann, den sie recht gut kannte, angezogen gefühlt hat? Wie wird die Öffentlichkeit reagieren?

Tatsächlich läuft es nicht gut für Hella Karl, sie wird die zentrale Person in einem immer stärker werdenden Shitstorm über tendenziöse Medienberichterstattung rund um den Intendanten. Erst gehen Kolleg*innen auf Distanz, sie wird beurlaubt, niemand möchte mehr mit ihr gesehen werden, selbst ihr vertrautester Zirkel geht auf Abstand. Schnell schlägt sich dies auch auf ihr Privatleben durch. Jedes Augenzwinkern ihres Mannes ist suspekt, jede Regung der Nachbarn ein möglicher Dammbruch. Kurz: Sie ist mit den Nerven am Ende. Doch ohne Kampf wird sie nicht alles aufgeben, was sie sich so lange aufgebaut hat.

Der Einfluss der Fasane erzählt eine höchst aktuelle Geschichte um mediale Berichterstattung und die Dynamiken, die dadurch gerade auch in den sozialen Medien entstehen können. Dabei ist nie klar, wieso sich der Intendant nun wirklich umgebracht hat, oder auch, ob die Vorwürfe gegen ihn nun genau stimmen. Der Roman stellt all dies auch nicht in den Vordergrund, denn während Hella Karl nach jedem Strohhalm greift, um ihre Unschuld zu beweisen, geht um sie herum alles weiter.

Der Roman kontrastiert die aktuelle Geschichte mit einem an der klassischen Moderne geschulten Stil, der viele Motive, insbesondere den Fasan, und Wiederholungen verwendet, um einen dichten Text herzustellen. Dabei bleibt die Sprache selbst aber immer sehr leicht und klar, der Roman liest sich ziemlich perfekt und hat praktisch keine Längen. Er erinnert mit seinem Setting, also dem grauenhaften Ereignis, das das Leben der Hauptfigur unaufhaltbar verändert, und dem klassischen, knappen bis atemlosen Stil sehr an Der falsche Gruß von Maxim Biller. Genau wie dort funktioniert das Zusammenspiel von Sprache, Stil und Geschichte sehr gut.

Der Einfluss der Fasane rückt seine Protagonistin Hella Karl ganz in den Mittelpunkt und zeigt anhand ihrer Geschichte, wie die Welt um einen Menschen herum sich in Windeseile zu einer anderen verändern kann. Es geht dabei weniger um Schuldfragen, denn die sind so oder so nicht zu klären. Es geht auch nicht allein um Misogynie, auch wenn diese in vielen Facetten mitschwingt. Vielmehr geht es um eine Ethik des Journalismus, um die unnachgiebige Grausamkeit eines Shitstorms und die Unmöglichkeit, sich einem solchen zu entziehen. Der traditionelle Stil schafft es dabei, diese Geschichte noch einmal gänzlich anders zu erzählen, als es in diversen Büchern schon gemacht wurde.

Antje Rávik Strubel: Der Einfluss der Fasane | S. Fischer | 240 Seiten | 24 Euro | Erschienen im März 2025

Kategorie Blog, Rezensionen

Ich bin im Niemandsland von NRW zwischen Tagebauten und Kraftwerken aufgewachsen, da gab es nur wenige Argumente gegen ausgiebiges Lesen, um der Tristesse zu entkommen. Dann ging es nach Aachen, später nach Köln, dann nach Göttingen und nun lebe ich in Berlin und arbeite als Buchhersteller. Nebenbei spiele ich noch in Bands, meine zweite Leidenschaft ist ganz klar die Musik! Oder doch Kochen und Essen? Schwer zu sagen.

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