Julia Friese: delulu

Tod und Delirium: delulu von Julia Friese versenkt sich ganz tief in die Gedanken einer Sterbenden und fördert dabei so allerlei zutage – genauso konsequent wie fordernd.

Julia Friese, Delulu, Cover

Was passiert im Moment des Todes? Was erleben Sterbende, wenn das Leben in immer weitere Ferne rückt und der Tod dafür immer näher kommt? Diese Fragen sind wahrscheinlich seit Menschengedenken präsent. Zahlreiche Filme, Bücher und andere Werke widmen sich diesen letzten bewussten Momenten. Am populärsten ist dabei wohl die Vorstellung davon, dass das Leben noch einmal an einem vorbeizieht, während es entweicht.

delulu von Julia Friese setzt ein, als eine Hand zu innig in eine Steckdose fasst. Die Hand gehört Res, einer Frau in den mittleren Jahren, eine alte Millenial, geboren in den späten 1970ern oder frühen 1980ern. Der Strom fließt durch ihren Körper, die Sicherung hat offensichtlich Pause, und so nimmt das Schicksal seinen Lauf. Sie wird sterben.

Doch im Moment des Todes driftet ihr Geist noch einmal ab in die verqueren Traumwelten ihres Bewusstseins, oszilliert wild zwischen unterbewussten und bewussten Fetzen der Erinnerung. Ihre Kindheit in den 1990er-Jahren mischen sich als prägendste Phase der Identitätsbildung immer wieder mit kurz zurück- oder auch noch vor ihr liegenden Erlebnissen. Die Traumlogik schert sich dabei nicht um gewöhnliche Kausalitäten, hier wird Begehren, Wunsch und Angst ohne Rücksicht auf Verluste zussammengeworfen.

Damit trifft die geschichtslose happy Popkultur der postpolitischen 1990er-BRD auf den spätkapitalistischen Abgesang der hyperpolitischen 2020er Jahre. Das ist wahnsinnig interessanter und guter Stoff, über den man abendfüllend diskutieren und fabulieren kann. Wenn man die Möglichkeit hat, sollte man sich das auch unbedingt mit Julia Friese gönnen, ihre Lesungen zu diesem Roman sind kleine Ereignisse, die so weit weg sind von Wasserglaslesungen, wie man sich nur vorstellen kann. Vorausgesetzt natürlich, dass man entweder auch alter Millenial ist oder sich für die Zeit extrem interessiert, denn hier geht es richtig in die Tiefe.

Und das alles ohne Filter. Keine Frage: delulu macht keine Gefangenen, der Roman geht ohne Weiteres in die Vollen und kümmert sich keine Sekunde um die Befindlichkeiten der Lesenden. Das imponiert und überzeugt immer wieder durch kongeniale Szenen, in denen sich Res in den Pophimmel phantasiert und gleichzeitig ätzende Kommentare über die Ignoranz westlicher Happiness nur so raushaut. Gleichzeitig riskiert der Roman aber auch jederzeit, die Lesenden zu verlieren, denn Traumlogik lässt sich nun mal nicht nachvollziehen – einmal nicht mitgekommen, ist hier oft ein ganzes Kapitel verloren.

Am Ende muss ich gestehen, dass ich tatsächlich leider zu oft nicht mitgekommen bin, was delulu für mich überwiegend anstrengend gemacht hat. Das schmälert den Spaß an den genialen Szenen nicht, auf einen Roman mit mittlerer Länge funktioniert es für mich aber einfach nicht, die Zumutung ist zu groß. In kleinen Häppchen ist delulu aber komplett bescheuerter Spaß, der gerade ältere Millenials abholen dürfte.

Julia Friese: delulu | Wallstein | 247 Seiten | 22 Euro | Erschienen im Februar 2025

Kategorie Blog, Indiebooks, Rezensionen

Ich bin im Niemandsland von NRW zwischen Tagebauten und Kraftwerken aufgewachsen, da gab es nur wenige Argumente gegen ausgiebiges Lesen, um der Tristesse zu entkommen. Dann ging es nach Aachen, später nach Köln, dann nach Göttingen und nun lebe ich in Berlin und arbeite als Buchhersteller. Nebenbei spiele ich noch in Bands, meine zweite Leidenschaft ist ganz klar die Musik! Oder doch Kochen und Essen? Schwer zu sagen.

Kommentar verfassen