Von den einen gefeiert und bejubelt, von den anderen verrissen – Teresa Präauers Roman Johnny und Jean (Wallstein Verlag) hat schon seit seinem Erscheinen im letzten Jahr die Leserschaft polarisiert. Dann wurde er Anfang des Jahres für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert, konnte sich allerdings nicht durchsetzen. Vor Kurzem kandidierte Präauer in Klagenfurt für den Bachmannpreis, unterlag in drei Stichwahlen und ging auch dort leider leer aus. Das „Preis-Glück“ scheint also nicht immer auf Seiten der 36-jährigen Autorin, die gleichzeitig auch bildende Künstlerin ist. Die zahlreichen Nominierungen und Kontroversen in den Feuilletons und in der Literaturblog-Szene ließen mich jedoch in letzter Zeit immer neugieriger werden auf „Johnny und Jean“. Jetzt habe ich dieses liebevoll gestaltete Buch ausgelesen, verschlungen sozusagen, und nun muss ich mich ganz klar auf die „Jubel-Seite“ der Kritik schlagen. Die Geschichte startet auf einem Dorf. Johnny und Jean, die zu diesem Zeitpunkt noch ganz anders heißen, wachsen in demselben kleinen Ort auf. Johnny beobachtet Jean, beneidet ihn um sein Selbstbewusstsein, um seine permanente Präsenz, die ihm viele Bewunderer verschafft. Zu jenen gehört auch Johnny. Bewunderung und Neid wechseln sich ab. Dann ziehen beide weg aus der Heimat und zum Studieren in eine größere Stadt, welche aber doch nur die zweitgrößte der Umgebung ist. Und auch hier sieht Johnny, wie Jean alle Blicke auf sich zieht, wie schon damals im heimischen Schwimmbad:
Vielleicht ist die Zeit im Schwimmbad damals für Jean, als er sich noch nicht Jean genannt hat, sogar die Vorarbeit gewesen für das, was er jetzt macht? […] Seine Haare sind von der Sonne blond gewesen, und er hat noch ganz anders gesprochen, mehr herum gebrüllt. Er hat so gut dort aufs Land gepasst, und jetzt passt er so gut hierher in die Stadt.
Jean ist anpassungsfähig, Johnny muss sich erst einmal einleben, in das Studium, die neue Stadt und die neuen Ansprüche, die an ihn gestellt werden. Dabei eifert er immer dem scheinbar perfekten Jean nach. Doch der ist ihm stets einige Schritte voraus.
Jean ist in dieser Zeit weit gekommen. Er hat schon einen Platz, auf dem sein Name steht. Hier kennt ihn jeder als Jean, und wenn man etwas nicht weiß, heißt es: Frag Jean. Ich hab nichts gewusst, ich habe Jean gesucht und ihn nach allem fragen wollen, aber Jean ist nicht da gewesen.
Jean nimmt Johnny zunächst gar nicht wahr. Die Freundschaft der beiden entwickelt sich schleichend und verliert nie so richtig den Idol-Fan-Charakter. Jean nennt sich so, seitdem er in der zweitgrößten Stadt lebt, das klingt französisch und zu der Kunst Frankreichs fühlt er sich besonders hingezogen, Johnny muss nachziehen und bildet, künstlerisch gesehen, sein Gegenstück:
Ich stelle mir vor, ich wäre Johnny. […] Johnny, der Stille, das ist zwar nicht die schönste aller Rollen, aber besser als gar keinen Namen zu haben und gar kein Gesicht.
Ziemlich bemitleidenswert kommt mir Johnny vor, doch ist es immerhin seine Geschichte, die erzählt wird, aus seiner Perspektive. So ist „Johnny und Jean“ auch ein Coming-of-age-Roman. Das erste Mal weg von den Eltern, Freiheiten und Pflichten erleben, die man vorher so gar nicht kannte – das erinnert mich an mein eigenes erstes Semester und ließ mich schmunzeln:
Das erste eigene Zimmer! Es ist sehr klein, aber ein Bett und zwei Tische passen doch hinein. Auf dem Fensterbrett kann man sitzen und eine Zigarette rauchen […] Und aufbleiben, so lange man möchte. […] Und nie abwaschen. Nie, nie, nie.
Und am Ende scheint der unscheinbare Johnny dann doch seinen eigenen Weg zu finden, natürlich nicht vollends losgekoppelt von Jean, aber doch individueller. „Johnny und Jean“ war für mich wie ein schneller Ritt durch verschiedene Kunstepochen und Wahrnehmungsebenen. Zum ersten Mal habe ich mich tiefgründiger mit der Kunstszene im Allgemeinen auseinandergesetzt. Dem Roman wird oft sein gnadenloses Namedropping vorgeworfen, doch genau diese Art des Erzählens lässt die Lektüre so kurzweilig und rasant erscheinen. Letztendlich bleibt offen, ob Jean in diesem Plot wirklich existiert oder vielleicht nur die Projektion eines Idealzustand des Lebens und Erfolges ist, dem Johnny nacheifert, so wie wir alle Träumen hinterherjagen. Mit trockenem Humor und einer klaren Stimme zeichnet Präauer ein Figurenpaar, das mir noch lang im Gedächtnis bleiben wird. Die Preise für das Werk der Österreicherin wären alle mehr als verdient gewesen.
Übrigens hat Teresa Präauer das Bild auf dem Buchumschlag selbst gemalt. Und auch die Kapitel hat sie mit verschiedenen Klecksen voneinander abgetrennt. Inhaltlich und Formal – Kunst!
Johnny und Jean
Wallstein Verlag
ISBN: 978-3-8353-1556-3
2014 erschienen
[…] den Herrscher aus Übersee ist ein Gesamtkunstwerk. Wie auch bei Johnny und Jean, dem zweiten Buch der Autorin, scheint Präauer auch hier einen Pinsel in der Hand zu halten, mit […]