Selja Ahava: Dinge, die vom Himmel fallen

Mit Dinge, die vom Himmel fallen liegt nun der zweite Roman der finnischen Autorin Selja Ahava bei mare vor. Die Übersetzung hat, wie beim Vorgänger Der Tag, an dem ein Wal durch London schwamm Stefan Moster besorgt. Beides sehr unspezifische Titel – was erwartet die Leser*innen wohl?

Selja Ahava: Dinge, die vom Himmel fallen

Wie der Titel des Romans von Selja Ahava, der auf dem Schutzumschlag in vier dicke Balken unterteilt ist, so ist auch der Roman in vier sehr unterschiedliche Teile gegliedert. Der längste und wichtigste ist der erste. Die Erzählerin Saara schildert Ereignisse aus ihrer früheren Jugend, die für sie und ihr Leben prägend waren. Alles konzentriert sich auf ihre Familie, zunächst ihre Eltern, Hannele und Pekka, dann auch ihre Tante Annu.

Was zunächst eine nette Idylle voller schöner Kindheitserinnerungen mit liebevollen Eltern ist, wird durch einen Schicksalsschlag komplett aus der Bahn geworfen: Als Saara eines Tages mit ihrem Vater von einem Ausflug zum Haus der Familie zurückkehrt, finden sie die Mutter tot im Garten. Pekka verhindert, dass Saara ihre Mutter sieht – aus gutem Grund, denn Hannele wurde von einem Eisklumpen erschlagen, der sich von einem Flugzeug gelöst hat. Sie ist kaum noch zu erkennen, ihr Kopf zerschmettert.

Pekka steht unter Schock, welcher ihn über Jahre nicht mehr loslassen wird. Zum Glück bewohnt seine Schwester Annu ein viel zu großes Gutshaus, in das sie einziehen können. Annu kümmert sich um ihren Bruder Pekka und Saara und wird dabei zu einer Art Ersatzmutter.

Die drei führen ein Leben, das mit den Jahren wieder geregelter verläuft. Saara geht zur Schule, Pekka erledigt Renovierungsarbeiten und Annu konzentriert sich auf das Filzen. Sie betreibt es als Künstlerin, was sie sich ohne Druck erlauben kann. Denn das Haus mitsamt Schafherde und großer Werkstatt konnte sie sich nur leisten, da sie vor Jahren im Lotto gewann. Sie ist finanziell abgesichert, gilt aber aufgrund ihres zurückgezogenen Lebens als wunderlich.

Die Leute sagten, die Tante ist verrückt, weil sie im Winter in so einem Haus ohne anständige Heizung wohnt. Die soll sich eine Heizung einbauen lassen oder wenigstens einen Hausmeister zum Schneeräumen einstellen, die hat doch Geld wie Heu! Aber meine Tante mochte es, den Kachelofen zu heizen, und behauptete, es ist praktisch, wenn man die Milch einfach auf dem Fußboden kaltstellen kann.

Doch dann folgt der zweite Schicksalsschlag: Annu gewinnt noch einmal im Lotto, wieder den Höchstgewinn. Was für andere Menschen ein Grund zur Freude wäre, reißt Annu aus der Bahn. Sie kann den höchst unwahrscheinlichen Zufall nicht verkraften und fällt in einen langen, koma-artigen Schlaf.

Das erste Kapitel schafft mit diesem Aufeinanderfolgen zweier großer Zufälle das Setting für Selja Ahavas Roman. In den folgenden drei Kapiteln wird chronologisch darauf aufgebaut. Das zweite besteht aus einem Briefwechsel zwischen Annu und dem hebridischen Fischer Hamish MacKay. Sie schreibt ihm, nachdem sie in einem Artikel gelesen hat, dass er der am häufigsten vom Blitz getroffene Europäer sei. Ein ebenfalls von einem unbegreifbaren Schicksal Verfolgter.

Im dritten Kapitel erzählt Krista, die neue Frau Pekkas, einige Jahre nach den Geschehnissen des ersten Kapitels. Die drei ziehen zurück in das Haus, das Pekka mit Saara nach dem Tod Hanneles verließ. Das vierte und letzte Kapitel gehört dann wieder Saara, die abschließend auf die Ereignisse zurückblickt.

Dinge, die vom Himmel fallen von Selja Ahava ist ein Roman über Schicksalsschläge und wie die betroffenen Menschen mit ihnen umgehen. Geschildert werden diese Schicksale aus den ganz eigenen Perspektiven der Protagonist*innen. Allen ist dabei ein sehr ruhiger, märchenhafter Ton gemein, der die schweren Einschläge in die tägliche Routine wie beiläufig geschehen lässt und es den Leser*innen leicht macht, sie aufzunehmen. Ganz wie im Märchen eben. Dies gilt vor allem für die von Saara erzählten Kapitel, in denen Sie die Art, wie Hannele ihr Märchen vorlas, nachahmt. Selbst Hanneles Tod bekommt dadurch eine etwas märchenhafte, zwischen den Zeilen jedoch schockierende Färbung.

Alles, was danach passiert, steht im Schatten des Eisklumpens. Die Ruhe der Erzählweise ist dabei ein zweischneidiges Schwert. Zum einen wird alles Spektakuläre, alle Aufregung aus dem Roman verbannt. Wenn es aufregend wird, dann zwischen den Personen, niemals aber im Ton des Erzählens. Dies hilft, die Ereignisse aufzunehmen und mit den Figuren zusammen sacken zu lassen. Zum anderen bleibt der Roman sprachlich dadurch auch ein wenig gleichförmig und blass. Die Perspektivwechsel machen dies einigermaßen wett und bringen eine willkommene Abwechslung. Für mich hätten die Kontraste aber durchaus noch stärker sein können. Und sehr oft driften gerade die Saara-Kapitel in ein nostalgisches, sehr idyllisches Erinnern ab. Dazu kommt die teilweise naiv-niedliche Erzählweise des Kindes – das wurde mir dann doch oft zu viel und hatte für mich einen etwas kitschigen Anstrich.

Als wir im Gutshaus wohnten, war ich das einzige Mädchen in der Schule, das Schafe und Kronleuchter zu Hause hatte. Und ein Geheimzimmer, aber davon wussten meine Klassenkameraden nichts. Ich war das Gutsmädchen alias ehemaliges Wunderbares Baby, und als das Gutsmädchen zehn wurde, spielte es mit seinen Freundinnen, sie wären auf einem Ball. Tante Annu zündete Kerzen an und servierte Saft in hohen Gläsern.

Am Ende bleibt ein Roman, der in ruhiger, märchenhafter Sprache die Geschichte einer Familie erzählt, deren Leben von harten, unvorhersehbaren Schicksalsschlägen aus der Bahn geworfen wird. Erklärungen sind müßig, daher konzentriert sich alles immer wieder auf das Weitermachen, das Weiterleben. Eine sehr positive Haltung, aber am Ende für mich auch ein bisschen wenig. Denn auch wenn die Perspektivwechsel für Abwechslung sorgen, war mir die naive Erzählweise Saaras doch meistens zu nostalgisch und idyllisch. Das macht Dinge, die vom Himmel fallen keineswegs zu einem schlechten Buch. Aber so ganz bin ich mit dem Roman von Selja Ahava nicht warm geworden.

Selja Ahava Dinge die vom Himmel fallenSelja Ahava

Dinge, die vom Himmel fallen

Aus dem Finnischen von Stefan Moster

mare Verlag

ISBN: 978-3-86648-242-5

Erschienen im Februar 2017

Filed under Blog, Indiebooks, Rezensionen

Ich bin im Niemandsland von NRW zwischen Tagebauten und Kraftwerken aufgewachsen, da gab es nur wenige Argumente gegen ausgiebiges Lesen, um der Tristesse zu entkommen. Dann ging es nach Aachen, später nach Köln, dann nach Göttingen und nun lebe ich in Berlin und arbeite als Buchhersteller. Nebenbei spiele ich noch in Bands, meine zweite Leidenschaft ist ganz klar die Musik! Oder doch Kochen und Essen? Schwer zu sagen.

Kommentar verfassen