Dietlind Falk: Das Letzte

Das eigene Leben versinkt im Chaos, tief sitzende Depressionen machen sich breit, nichts klappt so richtig und zu allem Überfluss ist die eigene Mutter auch noch ein Messie. Klingt alles nicht so ganz perfekt. Dass es aber immer noch schlimmer kommen kann, davon erzählt Dietlind Falk in ihrem Debütroman Das Letzte (Albino).

Dietlind Falk: Das Letzte

Gleich zu Beginn des Romans treffen wir die namenlose Ich-Erzählerin bei ihrem Therapeuten Doktor Mabuse an. Nur widerwillig redet sie mit ihm, und eigentlich ist das Doktor Mabuse auch ganz recht. Er verschreibt nämlich lieber Rezepte als auf seine Patientin einzugehen. Die Ich-Erzählerin ist auch gar nicht so traurig darüber, denn ihre heiß geliebten Tabletten lassen sie jegliche Vergangenheit und Gefühlsregungen vergessen.

Die Vergangenheit ist wohl das schwerste Päckchen, das die Ich-Erzählerin zu tragen hat. Der Vater war ein Säufer und gewalttätig. Eines Tages hätte er fast die Mutter erwürgt, der Bruder der Hauptfigur ist daraufhin vor Angst vom Balkon gesprungen. Am selben Abend starb auch der Vater, weil er im Suff kopfüber auf den Glastisch viel. Die Mutter kam in psychiatrische Behandlung, die Ich-Erzählerin zu ihrer wirklich bösen Großmutter.

Mittlerweile ist die Protagonistin erwachsen, eher in sich gekehrt und irgendwie auch einsam. Zusammen mit Leo, Axel, Motze und Stella wohnt sie in einer WG. Zusammen ist man ja bekanntlich weniger allein. Ihre Mitbewohner*innen sind allerdings nicht weniger vorbelastet. Jede*r hat gewisse Ängste und zumeist ein gestörtes Verhältnis zu den Eltern. Aber in ihrer Gesamtheit sind alle fünf doch ein ziemlich chaotischer und zugleich sehr sympathischer Haufen. Das WG-Leben könnte so harmonisch sein, wenn die Protagonistin nicht ausgerechnet in ihren Mitbewohner Leo verliebt wäre. Der ahnt natürlich nichts davon.

Es war verrückt, wozu unsere jugendliche Angst uns trieb. Die Angst um unser kleines Leben. Wie Fliegen auf Glas krabbelten wir an ihr entlang und kamen doch nicht dahinter.

Die Überbleibsel ihrer Familie, nämlich die Mutter, besucht die Ich-Erzählerin nur widerwillig. Die Familientragödie hat diese nämlich auf ganz andere Art und Weise kompensiert. Sie ist ein Messie. Ihre Wohnung quillt über von unbrauchbaren, zumeist kaputten Dingen. Zu allem Überfluss muss sie dort ausziehen, denn der Vermieter hat Eigenbedarf angemeldet. Doch die Mutter stellt sich taub, ignoriert jegliche Schreiben. Als sie eines Tages infolge eines Schlaganfalls für längere Zeit ins Krankenhaus eingeliefert wird, ist es an ihrer Tochter, die Sache mit der Wohnung in die Hand zu nehmen.

Sie muss alles von Krempel und Müll befreien. Was sie zunächst im Groll auf ihre Mutter tut, wird immer mehr zu einer kathartischen Handlung. Beim Aufräumen findet sie nicht nur kleine Schätze, vor allem Fotos aus ihrer Kindheit und den frühen Jahren der elterlichen Beziehung. Sie findet auch ein Stück zu sich selbst und ihrer Mutter zurück. Erinnerungen an die Kindheit blitzen auf und werfen einen liebevollen Blick auf die sonst so verkorkste Mutter.

Als der Auflauf im Ofen war, hatte ich mich wie ein hungriger Frosch davorgehockt und zugesehen, wie der Käse schmolz und die Ränder zu blubbern anfingen, und meine Mutter hatte am Tisch gesessen, geraucht und gelächelt, wenn ich zu ihr rübersah. Ich hatte mich genauso gefühlt wie der Auflauf, ich schmolz und blubberte, wenn sie mich so ansah, mit Liebe in den Augen und allem.

Der Blick der Hauptfigur wird zunehmend klarer und Das Letzte liest sich wie ein Plädoyer dafür, seinen tief verwachsenen Gram auf nahestehende Menschen einmal auszuschalten, um zu sehen, dass da irgendwie doch Liebe ist. Das Messieverhalten der Mutter wird einerseits als ernstzunehmende Sucht dargestellt, andererseits aber auch immer mit einem liebevollen Augenzwinkern betrachtet.

Sie [die Nachbarin] würde nie verstehen, dass das, was sie für die Lösung hält, das Aufräumen, meiner Mutter mehr Angst macht als der Gedanke, irgendwann nicht mehr in die eigene Wohnung zu passen. Dass sie dann das einzig Gute in ihrem Leben hergeben müsste, und wer will das schon?

Besser als durch jegliche Doku zu diesem Thema kann ich mich nun ein Stück weit in diese Menschen einfühlen. Mit schwarzhumorigen, aber stets witzigen Vergleichen stellt die Ich-Erzählerin ihre Situation und die Menschen um sich herum dar. Hierin liegt für mich auch das einzige Manko des Romans. Es sind stellenweise einfach zu viele direkte Vergleiche. Dieses Stilmittel nutzt sich bis zur Mitte des Romans stark ab und wird zur Masche. Zum Ende von Das Letzte fängt sich die Autorin allerdings wieder und der Text bekommt ohne diese Vergleiche viel mehr Kraft.

Was mir stilistisch wiederum sehr gut in Das Letzte gefällt, sind die kleinen Traumszenarien, die die Ich-Erzählerin immer wieder zwischendurch entwirft. Mit einer deftigen Prise Sarkasmus stellt sie die Situationen dar, wie sie in einem perfekten Leben ablaufen würden. Dann folgt ein kurzes „The End“ und wir werden wieder zurückgeworfen in ihre chaotische und weniger traumhafte Realität. Das ist einfach herrlich ernüchternd, im positiven Sinne.

Dietlind Falks Debütroman Das Letzte ist ein moderner Entwicklungsroman, der bei aller Schwere einfach Spaß bereitet und zeigt, wie wichtig es ist, auf die Menschen in unserer Umgebung einzugehen. Thematisch innovativ mit einer erfrischend verspielten Sprache, so dürfen Debüts gern öfter sein.

Dietlind Falk: Das Letzte

Dietlind Falk

Das Letzte

Albino Verlag

256 Seiten | 16,99 €

Erschienen im März 2017

 

Kategorie Blog, Indiebooks, Rezensionen

Aufgewachsen im schönen Brandenburg lernte ich schon früh die ländliche Einöde lieben und verteufeln zugleich. Heute kehre ich immer wieder gern heim, wohne allerdings lieber in urbanen Räumen. Lesen geht ja zum Glück überall und bietet Ausflüge in diverse Welten. Hier schreibe ich über meine Lektüren.

Kommentar verfassen