Gomes/Thermann: Berge, Quallen

Mit Berge, Quallen ist bei Diaphanes ein Buch erschienen, das die Genres Krimi und Thriller mit dem postmodernen Roman verbindet. Mit einem düsteren, verschachtelten Plot legt es dazu den vielversprechenden Grundstein.

Gomes / Thermann: Berge, Quallen

Diaphanes ist vor allem für sein avanciertes Programm neuester Theorie in der Nachfolge von Poststrukturalismus und Postmoderne bekannt. Ehrlich gesagt war mir gar nicht richtig bewusst, dass dort auch Literatur erscheint. Bis dann Berge, Quallen in der Buchhandlung vor mir lag und mich mit seinem Artwork und dem Rückentext überzeugte. Zusammengedacht mit dem theoretischen Profil von Diaphanes war das für mich ein unwiderstehliches Bündel. Musste ich einfach mitnehmen.

Der Inhalt gibt sich düster. Das Setting ist zunächst wie einem Horrorfilm entliehen, Dunkelheit und das Unbekannte darin prägen das erste Kapitel, Geräusche, Nicht-Gesagtes und beredtes Schweigen reißen Lücken, die Spannung erzeugen. Im Mittepunkt steht zunächst der Arzt Błaszczykowski, der in einem polnischen Pflegeheim eigenartigen Vorkommnissen auf den Grund gehen möchte. Schnell wechselt die Handlung dann nach Mexiko, in das Haus eines Drogenbosses, um dessen Tochter ins Licht zu rücken: Viola Nespoli. Auch in Italien, im nächsten Kapitel, begegnet sie uns wieder.

Alles dreht sich um Viola Nespoli. Alles. Und mit ihr auch um alle Personen, die je in ihrer Nähe waren, sind oder sein werden. Oder hätten sein können. Denn in Berge, Quallen gibt es doppelte Böden und geheime Kammern im Plot, der uns auf falsche Fährten führt und in dem sich eben noch Geglaubtes durch neue Informationen einfach ins Gegenteil verkehrt. Eine minutiöse Komposition macht es möglich, die den Strom der Informationen penibel reguliert, jedes Wort genau kalkuliert.

Auch sprachlich ist dies deutlich zu merken. Der Roman wechselt von Kapitel zu Kapitel auch immer ein wenig sein Genre. Thriller- und Pageturnerelemente treffen unvermittelt auf Spaghetti-Western und hier und da auch auf ein wenig Romanze. Hinzu kommen immer wieder nüchterne Beschreibungen, die das Jetzt der Erzählzeit mit der Vergangenheit verbinden. Sie erzählen jeweils ein Stück Geschichte, die Überlagerungen unglaublicher Zufälle, die die Orte unserer Welt zu dem machen, was sie sind. Dafür findet der Roman sein eigenes Wort: das Geschichte, der Turm von Schichten aus Zeit und Geschehen. Dieses philosophische Leitmotiv bildet des Pudels Kern in Berge, Quallen.

Klingt komplex? Ist es auch! Der Roman schichtet, was das Zeug hält, erzählt dabei immer nur gerade so viel, dass die Leser*innen gerade etwas zu ahnen wagen, um dann wieder mit etwas ganz anderem um die Ecke zu kommen. Dem Ganzen merkt man die akademische Herkunft des Autorenduos aus der Philosophie deutlich an. Alles hier erscheint wie eine Exemplifizierung des Rhizoms aus den Tausend Plateaus von Deleuzes/Guattari, gepaart mit Isers Theorie der Leerstelle, die hier zum Fetisch des postmodernen Erzählens wird.

Gewagt, gewagt. Aber nur wer wagt, kann auch gewinnen, richtig? Absolut, und doch geht das literarische Wagnis für mich hier nicht auf. Bei aller Konstruktionsleidenschaft scheinen die Autoren meiner Meinung nach das Wichtigste an einem literarischen Werk vergessen zu haben: das Sprachgefühl, die Leichtigkeit, eben das, was eine Lust am Text erst erzeugen kann.

Natürlich gibt es Bücher, die die Lust am Text absichtlich torpedieren, die Leser*innen hinters Licht und im Dunkeln an der Nase herum führen (Hallo, Jakob Nolte!). Bei Berge, Quallen scheint mir das aber nicht der Fall zu sein, da die erzählerischen Mittel an sich sehr vertraut und gefällig sind. Gerade die etwas stümperhaften Pageturner-Elemente haben mich immer wieder die Nase rümpfen lassen, bei den Western-Szenen wird es dann geradezu absurd klischeehaft. Auch sprachlich kann der Roman nicht überzeugen, da er abseits jedweder Komplexität stilistisch zerfahren und in der Wortwahl oft unbeholfen wirkt.

Schwarz schenkte sich von dem Muckefuck ein. Es war ihm, als rieche der dampfende Trunk wie die Kellnerin, nach Pferdefell, genauer genommen nach verfilztem Pferdefell. […] Bis zum Bahnhof war es eine halbe Stunde Fußweg, die Verkehrsanbindung war hier nunmal schlecht. Der letzte Regionalzug fuhr kurz vor achtzehn Uhr. Danach gab es wieder früh am Morgen Züge. Schwarz hatte einen Zugplan vor sich ausgefaltet.

Auch die ansprechende äußere Gestaltung kann im Innern leider nicht entsprechend umgesetzt werden. Zwar sind immer wieder schöne Elemente wie schwarze Trennseiten, ganzseite Abbildungen und Zwischentitel eingefügt. Letztere sind aber leider aus falschen Kapitälchen gesetzt. Und genau wie beim eigentlichen Roman mangelt es auch hier am Basalen: Der Satz leidet unter zu kleinen Einzügen und einer zu großen Nachlässigkeit, sodass immer wieder Zeilen auf den Seiten fehlen.

Am Ende ist Berge, Quallen für mich an den hohen Erwartungen gescheitert, die die Covergestaltung, der Verlag und der Werbetext für mich erzeugt haben. Der Roman liefert damit leider eine Bestätigung des Klischees, dass ein großes Wissen über Literatur einen Menschen noch nicht zum Autor oder zur Autorin macht. Schade.

Gomes/Thermann: Berge, QuallenGomes/Thermann

Berge, Quallen

Diaphanes

312 Seiten | 22,95 Euro

Erschienen im September 2016

Kategorie Blog, Indiebooks, Rezensionen

Ich bin im Niemandsland von NRW zwischen Tagebauten und Kraftwerken aufgewachsen, da gab es nur wenige Argumente gegen ausgiebiges Lesen, um der Tristesse zu entkommen. Dann ging es nach Aachen, später nach Köln, dann nach Göttingen und nun lebe ich in Berlin und arbeite als Buchhersteller. Nebenbei spiele ich noch in Bands, meine zweite Leidenschaft ist ganz klar die Musik! Oder doch Kochen und Essen? Schwer zu sagen.

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