In Eric Keils Raum in einem Raum (Korbinian Verlag) wird der Protagonist Bernard in ein undurchsichtiges Spiel verwickelt, in dem er sich immer mehr zu verlieren droht. Sex und Macht lassen ihn zunehmend den Kopf verlieren – oder gewinnt er vielmehr seinen Verstand damit erst zurück?
Bernard ist gut situiert, hat eine langjährige, ganz gut funktionierende Beziehung, einen Job, der ihn fordert und mit dem nötigen Kleingeld ausstattet, und auch ein paar soziale Kontakte. Letztere führen ihn mal in diese, mal in jene hipsterige Kneipe, neueste Galerie, geheimste Location. Natürlich hängen da auch ganz eigene Leute rum, die ganz eigene Themen anschneiden.
Mit einem dieser Typen – man könnte versucht sein, von Freunden zu sprechen, aber wem will man etwas vormachen – unterhält er sich bei irgendeiner Gelegenheit mal etwas länger. Gary heißt er, und noch bevor Bernard ihn überhaupt zum ersten Mal trifft, spielt sich folgende Szene zwischen Gary und Bernards Freund Steffen ab:
„Das Ziel kann nur die vollständige Aushöhlung sein“, sagt Gary und sieht Steffen über den Rand seiner Brille an. „Verstehst du mich? Du bist doch ein intelligenter Typ, oder? Dann verstehst du sicher, dass ich mich nur so dem Zustand der inneren Reinigung annähern kann.“
Dass die beiden – Gary und Steffen – sich auch gerade zufällig und zum ersten Mal beim Rauchen vor einem Restaurant getroffen haben, kann man hier noch am Rande erwähnen. Gary hat es ganz schön in sich. Genauso seine Freundin Aggy, die Bernard später auch kennenlernen wird. Auch Silvia, Bernards Freundin, lernt das andere Paar kennen, alle verstehen sich, wenn auch, oder gerade weil die Rollenverteilung klar ist. Bernard und Silvia nehmen die leicht spießige, etwas langweilige, Gary und Aggy die betont nonkonformistische, spannende Rolle ein.
Bei einem auf verdächtige Weise eingefädelten kurzen Treffen auf einen Kaffee eröffnet Aggy Bernard dann ein verzwicktes Spiel, auf das er sich mehr aus Höflichkeit als aus tiefer Überzeugung einlässt. Er hätte sich wohl kaum träumen lassen, in welche Höhen und Tiefen ihn dieses Spiel reißen würde. Es geht um Sex, um Macht, um Gewalt, um das Verlieren von Sicherheit und auch darum, der Angst in die Augen zu sehen. Es reißt ihn aus seiner ebenso sicheren wie festgefahrenen Existenz, öffnet seine Augen, bringt ihn an den Rande des Nervenzusammenbruchs, gefährdet alles, auf das er stolz war. Doch lernt er auch wieder, sich zu spüren. Auf die verschiedensten Weisen.
Raum in einem Raum ist für mich die bisher fesselndste und textlich reifste Veröffentlichung des Korbinian Verlags. Natürlich ist Sex in der Kombination mit Macht ein dankbares, weil die meisten Menschen irgendwie in den Grundfesten anfassendes Thema. 50 Shades of Grey winkt verschmitzt lächelnd aus der Unterhaltungsecke, Basic Instinct ist nur ein Beispiel von zahllosen aus der Filmwelt. Doch Eric Keil versteht es, seinen spannenden, gut konzipierten Plot glaubhaft im großstädtischen Milieu der Thirty-Somethings anzusiedeln und in aller Kürze Charaktere zu skizzieren, die in ihren Facetten wohlbekannt erscheinen und doch tiefe Abgründe bieten, die sich erst nach und nach auftun.
Er schafft es in Raum in einem Raum vortrefflich, sich dabei nicht allein auf platte Stereotype zu beschränken. Dies liegt in großem Maße an seiner Sprache, die eng am Leben ist, aber doch geformt genug, um die Leser*innen bei Laune zu halten. Und das ist noch zimperlich ausgedrückt, denn ich hätte beim Lesen des Büchleins nicht nur einmal fast meine Haltestelle verpasst.
So ist Raum in einem Raum sprachlich reifer als etwa das schon sehr gute Morgellon, und stringenter konzipiert als das Nirvana Baby und setzt damit der bisherigen Korbinian-Schöpfung die Krone auf. Eine Parabel aus der Welt der Städter, Künstler und Hipster, die den selbstgenügsamen Hedonismus der 30er mit Wucht vor die Wand laufen lässt. Ein fesselnder wie aufrüttelnder Text, der viel zu schnell vorbei ist. Aber so schnell auch nicht wieder loslässt. So stellt sich die vollkommene Aushöhlung – um abschließend noch einmal darauf zurückzukommen – als Befreiung von Zwängen heraus, deren harter Griff zu schnell als Umarmung missverstanden werden kann.
Raum in einem Raum
Korbinian Verlag
64 Seiten | 10,– Euro
Erschienen im Juni 2016