Bertrand Russell: Warum ich kein Christ bin

Der Rationalist und die Religion: kein Wunder, dass das Christentum zeitlebens ein immer wiederkehrendes Thema für den großen britischen Philosophen Bertrand Russell war. Bei Matthes & Seitz ist nun die Sammlung Warum ich kein Christ bin mit Neuübersetzungen von Russells Essays zur Religion erschienen.

Bertrand Russell, Warum ich kein Christ bin, Cover

Als ich die Sammlung Warum ich kein Christ bin im Matthes & Seitz-Newsletter entdeckt habe, musste ich gleich zuschlagen. Denn Religion ist nicht nur ein großes Thema im Leben Russells. Ich bin im katholischsten Rheinland, auf einem winzigen Dorf in der Nähe von Köln aufgewachsen und wurde katholisch erzogen. Mit Kirchgängen an jedem Wochenende, jedem Feiertag, jedem sich jährenden Todestag. Mit Taufe, Kommunion, Firmung, und dem entsprechenden Unterricht in der Kirche für Monate. Dazu natürlich noch katholischem Religionsunterricht in der Schule, vom ersten bis zum zwölften, vielleicht sogar dreizehnten Schuljahr, so genau weiß ich es nicht mehr.

Zum Glück, denn irgendwann bin ich ausgestiegen. An irgendeinem Punkt konnte ich die fromme Botschaft nicht mehr ertragen, konnte die immer gleichen Predigten der Pfarrer nicht mehr hören, die Langeweile in den immer gleichen Gottesdiensten nicht mehr aushalten. Ganz zu schweigen von der Scheinheiligkeit, die die meisten Menschen dort munter vor sich her tragen. Schmettern erst ein lautes „Amen!“ auf Jesus’ „Richtet nicht, auf dass ihr nicht gerichtet werdet“, um gleich darauf mit scharfen Blicken alle abzustrafen, deren Äußeres nicht makellos oder deren Benehmen nicht angepasst genug ist.

Für mich war Kirche eine Institution, in der sozialer Druck, Strafe und Verurteilung die zentralen Pfeiler bilden, um die Gemeinde zu normalisieren. Wer aus der Reihe tanzt, sich für etwas Besseres hält, einfach anders ist oder sein möchte, wird abgestraft, ausgeschlossen. Ich weiß heute, dass dies mehr das Dorf ist, das in der Kirche sein Machtgefüge auslebt, als dass dies eigentlich etwas mit Religion zu tun hätte. Doch ist genau das, nämlich das Zulassen dieser Machtausübung, meiner Meinung nach symptomatisch die Institution Kirche, und damit bin ich nun auch endlich wieder bei Russell.

Es ist absolut amüsant zu lesen, wie er die Lehren der Kirche und der Kirchenväter mit denen des neuen Testaments konfrontiert. Dass diese Lehren keine Chance gegen rationale Argumentation haben, ist klar. Interessant wird es dort, wo Russell die Grundpfeiler des christlichen Glaubens beschreibt. Er arbeitet fein heraus, wie die Lehren der Kirche an das Irrationale appellieren, das Unterbewusste der Menschen einnehmen. Und nicht etwa durch positive Gefühle, wie sie im Neuen Testament an zahllosen Stellen demonstriert werden. Sondern durch das niederste Gefühl in uns Menschen: die Angst. Angst vor Strafe, Angst vor dem Tod, aber auch Angst vor der Veränderung, die dem zutiefst konservativen Christentum ein Dorn im Auge ist:

Das Wissen, das es uns erlauben würde, einen Zustand allgemeiner Zufriedenheit zu schaffen, ist vorhanden; das Haupthindernis, es für diesen Zweck einzusetzen, besteht in der Religionslehre. Die Religion hindert unsere Kinder, eine vernünftige Erziehung zu bekommen; die Religion hindert uns daran, die grundlegenden Ursachen des Krieges zu beseitigen; die Religion hindert uns daran, statt der grimmigen alten Lehren von Sünde und Strafe eine Ethik wissenschaftlicher Zusammenarbeit zu lehren. Es kann sein, dass die Menschheit an der Schwelle eines goldenen Zeitalters steht; aber wenn dem so ist, muss erst der Drache getötet werden, der das Tor bewacht, und dieser Drache ist die Religion.

Das Zitat stammt aus dem Essay „Hat die Religion nützliche Beiträge zur Zivilisation geleistet?“, der 1930 zum ersten Mal veröffentlicht wurde. Heute würde wohl auch Russell der Religion nicht mehr einen so zentralen Stellenwert zuweisen, und sein positivistischer Glaube an den Fortschritt durch Wissenschaft hat in den Jahren nach der Erstveröffentlichung auch – und zu Recht – schweren Schaden gelitten. Und doch scheint der Drache noch nicht ganz besiegt, wenn wir uns vor Augen führen, welchen Einfluss vor allem die katholische Kirche noch heute auf Abermillionen Gläubige ausübt, vor allem in den Ländern abseits des reichen Zentrums.

Russells Essays in Warum ich kein Christ bin werden noch von zwei weiteren Texten begleitet. Die überaus prominenten Autoren der Rahmentexte versuchen, Russells Rationalismus, dem das Christentum und die Lehren der Kirche nichts entgegenzusetzen haben, zu entwaffnen. Martin Walser wie Sebastian Kleinschmidt sehen, dass der Glaube kein Ding der Ratio ist, nicht mit Vernunft zu erklären, und eben auch nicht damit zu widerlegen. Glauben ist eben nicht Wissen. Gleichzeitig schießen sie jedoch auch übers Ziel hinaus, wenn Walser etwa Russell implizit vorwirft, er habe keinen Sinn für das Schöne, den Genuss, was Religion vermittle und ihr inhärent sei.

Ganz ähnlich Kleinschmidt, der Russell jeden Sinn zur Erfahrung der Transzendenz abspricht, die nach ihm Religion ausmache. Dass beide zum Beweis Russells Autobiografie heranziehen, in der dieser an einigen Stellen davon berichtet, unglücklich zu sein, ist dabei meiner Meinung nach viel zu einfach. Ob der Glaube an einen Gott sein Ungenügen an der Welt und der Unendlichkeit des Nicht-Wissens hätte heilen können? Ich glaube kaum, auch wenn weder ich noch sonst irgendjemand es je wissen wird.

So bieten die Neuübersetzungen in Warum ich kein Christ bin eine sehr schöne Zusammenstellung von Russells Essays zur Religion, die in ihren logischen Argumentationen fordern, aber auch mit beißender Ironie erheitern. Sie regen zum Nachdenken darüber an, was sich in den letzten fast 100 Jahren in Hinsicht auf Religion und Kirche verändert hat und was gleich geblieben ist. Und sie bieten auch noch – und das ist wichtig – eine positive Wendung im abschließenden Essay „Was ich glaube“, der Hoffnung weckt auf ein menschliches Miteinander fernab von Sünde und Strafe. Auch wenn das weiterhin weit entfernt scheint.

Bertrand Russell: Warum ich kein Christ bin, CoverBertrand Russell

Warum ich kein Christ bin

Aus dem Englischen von Grete Osterwald
Mit einem Vorwort von Martin Walser und einem Nachwort von Sebastian Kleinschmidt

Matthes & Seitz

188 Seiten | 18,– Euro

Erschienen 2017

Kategorie Blog, Indiebooks, Rezensionen
Autor

Ich bin im Niemandsland von NRW zwischen Tagebauten und Kraftwerken aufgewachsen, da gab es nur wenige Argumente gegen ausgiebiges Lesen, um der Tristesse zu entkommen. Dann ging es nach Aachen, später nach Köln, dann nach Göttingen und nun lebe ich in Berlin und arbeite als Buchhersteller. Nebenbei spiele ich noch in Bands, meine zweite Leidenschaft ist ganz klar die Musik! Oder doch Kochen und Essen? Schwer zu sagen.

2 Kommentare

  1. Danke für deinen Kommentar, liebe Dagmar, und viel Spaß beim Lesen! Die „Philosophie des Abendlandes“ schaue ich mir auch mal an.
    Liebe Grüße,
    Stefan

  2. Bertrand Russel schreibt sehr lebendig und sympathisch, ich habe seine „Philosophie des Abendlandes“, in der auch die ZUsammenhänge zu den gesellschaftlichen Entwicklungen zeichnet, sehr gerne gelesen. Danke für diese Lesetip, das werde ich mir besorgen. Grüße Dagmar

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