Der Natur auf der Spur | Nature Writing

Die Rückbesinnung auf Natur, eine ökologisch vertretbare Lebensweise und das zeitweise Abschalten sämtlicher Elektronik sind gerade heute mehr en vogue denn je. Das Stichwort »Achtsamkeit« spielt hier genauso hinein wie eine zu beobachtende Stadtflucht – zumindest in Berlin gibt es sie. So verwundert es gar nicht, dass die Natur mit ihrem Artenreichtum auch in der Literatur Einzug hält. Nature Writing heißt der neue Trend.

Der Natur auf der Spur | Nature Writing

Vorbei die Zeit der biologischen Fachbücher, hier wird Natur essayistisch, im literarisch ansprechenden Ton nähergebracht, zumeist mit liebevollen Illustrationen. Als Vorzeigereihe auf diesem Gebiet gelten die Naturkunden bei Matthes & Seitz. Ich würde sogar behaupten, sie sind die Pioniere des Nature Writing in Deutschland. (Stefan hatte hier Schweine vorgestellt.) Vor Kurzem verlieh der Verlag zum zweiten Mal den Deutschen Preis für Nature Writing. Aber auch andere Verlage haben den Trend erkannt und zeigen, wie lohnenswert die Beschäftigung mit der Natur sein kann. Drei ganz besondere Titel, die zudem allesamt aus Indie-Verlagen stammen, möchte ich euch heute vorstellen und empfehlen.

Jonathan Drori: In 80 Bäumen um die Welt (Laurence King Verlag)

In 80 Bäumen um die Welt | Nature WritingEs geht los mit einem Buch über Bäume aus aller Welt. Das klingt im ersten Moment vielleicht dröge, weil Bäume im Vergleich zu anderen Lebewesen wenig aktiv wirken, doch dieses Buch hat mich vom Gegenteil überzeugt. Der Autor Jonathan Drori ist nicht nur ein wahrer Baumkenner, sondern auch ein Baumliebhaber. Seit seiner Kindheit beschäftigt er sich mit den Eigenheiten verschiedenster Pflanzen und hat seine Passion zum Beruf gemacht. In seinem Buch nimmt er uns mit auf eine Weltreise und stellt uns die wichtigsten, skurrilsten und schönsten Baumarten anhand kleiner Anekdoten vor. Wusstet ihr, dass mehr als die Hälfte aller Bäume in London Platanen sind? Oder dass der Weiße Kapokbaum in Westafrika als Sitz der Geister verehrt wird? Oder dass die Avocado im späten 19. Jahrhundert zunächst »Alligatorbirne« getauft wurde? Nicht nur biologisches, sondern auch soziokulturelles Wissen vermittelt In 80 Bäumen um die Welt. Dieses Buch kann man nicht an einem Stück lesen, mich hat es über achtzig Abende hinweg begleitet und diese allabendliche Baumkunde werde ich nun sehr vermissen. Unterschätzt die Bäume nicht, Droris Buch zeigt, dass sie mindestens genauso viel zu bieten haben wie scheinbar agilere Lebewesen.

Jonathan Drori: In 80 Bäumen um die Welt.* Mit Illustrationen von Lucille Clerc, übersetzt aus dem Englischen von Bettina Eschenhagen und Ulrich Korn. Laurence King Verlag. 256 Seiten. 24,00 Euro. Frühjahr 2018.

Florian Weiß und Lucia Jay von Seldeneck: Ich werde über diese Merkwürdigkeit noch etwas drucken lassen (Kunstanstifter)

Ich werde über diese Merkwürdigkeit noch etwas drucken lassen | Nature WritingKommen wir nun zur Tierwelt. Bei diesem wunderschön gestalteten Buch aus dem Kunstanstifter Verlag treffen Fakten, Literatur und ganz besondere Illustrationen zusammen. Verschiedensten Tiermeldungen aus zwei Jahrzehnten hat Lucia Jay von Seldeneck in kleine Kurzgeschichten verwandelt, Florian Weiß liefert mithilfe seiner Punktiermaschine filigrane und vor allem großflächige Zeichnungen dieser Tiere. Auch hier werden skurrile und interessante Fakten geliefert. Die Rückbildung der Stoßzähne bei Elefanten könnte beispielsweise auf eine Anpassung der Natur an Wilderei hindeuten. Oder betrachten wir den Hitlerkäfer – er ist vom Aussterben bedroht, weil Neonazis aus aller Welt ihn als Trophäe wegsammeln. Auch warum die Nachfrage nach Weinbergschnecken in der Fastenzeit immens ansteigt, könnt ihr in diesem Buch erfahren. Ich werde über diese Merkwürdigkeit noch etwas drucken lassen ist sowohl informativ und witzig als auch sehr schön anzuschauen – kann man es auch wunderbar zusammen mit Kindern lesen.

Florian Weiß und Lucia Jay von Seldeneck: Ich werde über diese Merkwürdigkeit noch etwas drucken lassen.* Kunstanstifter. 196 Seiten. 28,00 Euro. September 2017.

Gunnar Decker: Die Fledermaus – Bote der Nacht (Berenberg)

Gunnar Decker: Die Fledermaus. Bote der Nach | Nature WritingIn meinem ganzen Leben habe ich bisher vielleicht drei Fledermäuse gesehen. Eine definitiv, weil tot in Omas Garten, und zwei andere des Nachts vorbeihuschend – könnte am Ende auch ein schneller Vogel gewesen sein. Kaum ein Tier macht sich wohl rarer als die nachtaktive Fledermaus und kaum eines ist derart mystisch aufgeladen. In seinem Buch Die Fledermaus geht der Philosoph Gunnar Decker dem Boten der Nacht auf den Grund. Dabei stellt er zunächst die verschiedenen Arten, Lebensweisen und Verbreitungsgebiete der Fledermaus vor. Überraschend: Es gibt nur eine Fledermausart, die sich ausschließlich von Säugetierblut ernährt, die Desmodus rotundus. Sie lebt in Südamerika, hat dort schon ganze Rinderherden ausgerottet und auch einige Menschen erwischt. Es folgt eine kultursoziologische Schau der nachtaktiven Tiere, vor allem die Verbindung zur Figur des Vampirs in Literatur und Film bis hin zu Batman wird beleuchtet. Gunnar Decker zeigt, wie viel in einer einzigen Tierart stecken kann. Hier schreibt einer, der die Fledermaus nicht nur studiert, sondern auch ins Herz geschlossen hat – das merkt man dem Text an. Mit unglaublichen Details, einer liebevollen Gestaltung und Deckers präziser Sprache ist mir Die Fledermaus im doppelten Sinne ganz nah gekommen. Ich werde von nun an mit offeneren Augen durch die Nacht gehen und konnte einen weiteren Film zu meiner Watchlist hinzufügen: Jim Jarmuschs Only Lovers Left Alive.

Gunnar Decker: Die Fledermaus – Bote der Nacht.* Berenberg. 168 Seiten. 22,00 Euro. Frühjahr 2018.


* Dies ist ein Affiliate-Link. Falls du ihn anklickst und dich danach für den Kauf des Buches auf Genialokal entscheidest, unterstützt du nicht nur den unabhängigen Buchhandel, sondern auch uns. Wir erhalten eine kleine Provision, für dich bleibt der Preis des Buches natürlich immer gleich.

Kategorie Blog, Indiebooks, Rezensionen, Sachbuch

Aufgewachsen im schönen Brandenburg lernte ich schon früh die ländliche Einöde lieben und verteufeln zugleich. Heute kehre ich immer wieder gern heim, wohne allerdings lieber in urbanen Räumen. Lesen geht ja zum Glück überall und bietet Ausflüge in diverse Welten. Hier schreibe ich über meine Lektüren.

1 Kommentare

  1. Ich bin sehr gespannt auf den „80-Bäume-Band“, das Buch aus dem Kunstanstifter-Verlag ist wunderbar gelungen und sehr lehrreich, ein Kunstwerk. Ich empfehle es immer wieder gern weiter. Allgemein finde ich diesen Trend, der eine gewisse Tradition hat, sehr spannend. Ich denke, da kommen in der nächsten Zeit der eine oder andere Titel in meinem Buchregal dazu. Viele Grüße

Kommentar verfassen