Beziehungen können zerstörerisch sein. Paulina Czienskowski wirft in ihrem Manifest gegen die emotionale Verkümmerung (Korbinian) Licht in die Abgründe einer Trennung. Ihre Sprache schafft dabei eine derartige Nähe, dass es den Leser*innen immer wieder kalt den Rücken runterläuft.
Was sich liebt, das neckt sich. Sagt der Volksmund, oder so. Aber was machen die, die sich mal geliebt haben? Die zerfleischen sich. Sich selbst genauso wie die oder den ehemals Liebsten. Wenn es schlimm läuft jedenfalls, und das tut es leider öfter, als man es sich eingestehen mag. Das Manifest gegen die emotionale Verkümmerung von Paulina Czienskowski handelt von genau so einer Zerfleischung. Einer Selbst- und Fremdzerfleischung mit den verschiedensten Waffen.
Da wäre zum Beispiel das Chatten. Einst spannendste Flirtplattform mit Herzklopf-Faktor 10, dreht sich das Spiel nach der Trennung. Meist fühlt sich ja eine Seite hintergangen. So auch hier, und so schreibt der Ex-Freund der Protagonistin und Ich-Erzählerin immer wieder Nachrichten. Ganz typisch schwanken sie zwischen Verteufelung und Idealisierung, zwischen »Hau ab!« und »Komm zurück!«, angereichert mit psychologischer Kriegsführung. Und irgendwann geht es einfach immer ums Geld.
Hast ja ohne Probleme und auch ohne Gewissen ungefähr 10.000 Euro rausgeholt. Gut gemacht Sugarbaby! Wer kein Gewissen hat, kann das halt. Ich schätze es sehr sehr SEHR, meine Liebe, dass du parallel noch so eine eiskalte Lügnerin warst. Hast du ja auch schon während unserer Zeit gemacht.
Neben Chats verfolgen wir im Manifest gegen die emotionale Verkümmerung auch Gespräche, Reflexionen, Erinnerungen. Nie werden bei Dialogen die Seiten genau benannt, nur selten werden dezente Hinweise gegeben. Dadurch bleibt alles ein wenig im Vagen, bleibt immer ein wenig unklar, wer nun genau mit wem spricht. Doch die Nähe, die Paulina Czienskowski herstellt, macht diese Unklarheiten nicht nur reizvoll, sondern auch auf eine emotionale Weise vollkommen klar. Denn hier geht es nicht eigentlich um Figuren, nicht um Entwicklungen, nicht um Handlung. Hier geht es um ein Tief, die drohende emotionale Verkümmerung eben, das es mit der Protagonistin über knapp 90 Seiten zu durchschreiten gilt.
Diese Nähe ist der Trumpf des Manifests. Die Sprache ist so unmittelbar, so heutig und eben nah, dass sie schmerzt. Die Sätze sind knackig und auf den Punkt, das Vokabular so einfach wie möglich, die Medien akkurat wiedergegeben, die Dialoge lebhaft. Und immer wieder stehen da Sätze, die man so auch schon mal gedacht zu haben meint, aber sich nie die Mühe machte, aufzuschreiben:
Es ist verrückt, denke ich nun, wie wir hier stehen und uns miteinander beschäftigen, obwohl es uns gar nicht mehr gibt. So viele böse Worte, die fallen, böse Worte hat man doch eigentlich nur für diejenigen, die man liebt. Aber wir lieben uns ja nicht mehr. Ich liebe ihn nicht mehr.
Das mag manchmal die Grenze des Kitschigen leicht touchieren, mir war es aber nie zu viel. Auch hätte das eine oder andere »oder so« für mich gern gestrichen werden können. Aber auch das ist ok. Denn auch um Perfektion geht es hier eben nicht. Auch um Sexismus, psychische Erkrankungen oder übermäßigen Medienkonsum geht es nur am Rande. Das Tief und dessen Überwindung stehen immer klar im Mittelpunkt. Am Ende dann doch eine Entwicklung, ein Licht am Horizont.
Im Manifest gegen die emotionale Verkümmerung beschreitet Paulina Czienskowski auf unwiderstehliche Weise den Weg durch das Loch nach der Beziehung. Sie beschreibt den Schmerz der Trennung, den Streit der ehemaligen Liebenden, die unaufhörlichen Selbstzweifel. Das alles in einer Nähe, die gefangen nimmt, sodass das schmale Buch fast schon zu schnell gelesen ist. Dazu noch originell und schön gestaltet – was will man mehr?
Ein Manifest gegen die emotionale Verkümmerung
Korbinian Verlag
88 Seiten | 10 Euro
Erschienen im Juni 2018