Marie Darrieussecq: Unser Leben in den Wäldern

In den Wäldern ist es düster, zumindest in denen von Marie Darrieussecqs neuem Roman Unser Leben in den Wäldern (Secession). Ein dystopischer Bericht aus einer möglichen Zukunft.

Marie Darrieussecq: Unser Leben in den Wäldern

Atemlos folgt Absatz auf Absatz. Immer wieder bricht die Erzählerin ab, setzt neu an. »Kurz.« Immer wieder fällt dieses Wort, oder auch: »Wo war ich.« Gehetzt werden kurze Notate wiedergegeben, in Pausen aufgeschrieben. Was liegt dazwischen? Es ist nicht ganz eindeutig.

Marie Darrieussecq lässt uns in Unser Leben in den Wäldern ein Stück mit der Protagonistin Marie gehen. Sie lässt uns verfolgen, wie Marie sich immer tiefer in die Umstände Ihres Lebens absenkt, immer mehr davon herausfindet, was um sie herum passiert. Und wer sie eigentlich ist. Und wer nicht.

Gut. Womit fang ich an. Ich glaube, die elementaren Vorsichtsmaßnahmen, an die wir uns halten, muss ich nicht erläutern, die liegen auf der Hand: das Verwischen unserer Datenspuren, unserer Identitäten usw. Das Organisieren unseres Verschwindens. Wenn jemand verschwindet, und zwar, ohne dass die es entschieden haben, das stört sie am meisten. Wir sind alle verschwunden. Wobei sie schon wissen, wir sind da, in einer Art verkehrten Welt.

Da der Roman seine Spannung in erster Linie daraus zieht, wie sich die Welt, in der Marie lebt, immer weiter öffnet, sei der Inhalt hier nicht zu ausführlich beschrieben. Aber so viel lässt sich sagen: Wir erleben ein dystopisches Szenario, das immer konkreter, nie jedoch auch nur annähernd ausbuchstabiert wird. Es werden immer neue Facetten hinzugefügt, die die Handlungen und Umstände von Maries Leben, an dem wir lesend teilnehmen, immer besser erklären.

Dies ist unzweifelhaft die Stärke des Romans. In kurzen, atemlosen, unzuverlässig erzählten Schüben eine Welt Stück für Stück zu beleuchten. Eine Welt, die auf den gleichen Grundfesten steht wie die unsere, sich aber an irgendeinem Punkt in eine andere, bedrohliche Richtung entwickelt hat. Der beschriebene Wendepunkt könnte dabei durchaus in unserer nächsten Zukunft liegen. Die Erzählerin wendet sich dabei an Menschen, die den Bericht in einer anderen Zeit lesen werden, die die Historie, die unsere Welt mit der Maries teilt, nicht mehr kennen. Daher werden alle Personen, die vorkommen, kurz beschrieben. Was zunächst befremdet, ist ein einfacher, guter Kniff, um dem Bericht Authentizität zu verleihen.

Das alles sind aber natürlich recht allgemeine Beschreibungen einer Dystopie. Unser Leben in den Wäldern ist für mich weit davon entfernt, dem Genre neue Anschübe zu geben. Inhaltlich sind die dystopischen Züge der Romanwelt schon weitgehend bekannt, Serien und Filme haben bereits das gleiche Terrain beschritten und es schon deutlich detaillierter und schlüssiger gezeichnet.

So ist das mit 110 Seiten doch sehr schmale Bändchen vor allem in seiner Form interessant. Spannungsbogen und Report-Form sind durchdacht und gut umgesetzt. Dass sich die 110 Seiten am Ende doch irgendwie wie mehr anfühlen, liegt vor allem daran, dass nie ein wirklicher Lesefluss aufkommen will. Zu abrupt setzen die Fragmente ein, zu plötzlich brechen sie wieder ab. Ich mag diese sperrige Art zu erzählen bzw. zu lesen, das wird aber nicht allen Leser*innen so gehen.

Unser Leben in den Wäldern von Marie Darrieussecq ist eine interessant erzählte dystopische Lektüre. Leider geht ihr die Originalität der Form im Inhalt ab, da haben Serien wie Black Mirror und Altered Carbon oder Filme wie In Time und Gattaca schon mehr geboten.

Marie Darrieussecq: Unser Leben in den Wäldern

Marie Darrieussecq

Unser Leben in den Wäldern *

Secession

110 Seiten | 18 Euro

Erschienen im Februar 2019


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Kategorie Blog, Indiebooks, Rezensionen

Ich bin im Niemandsland von NRW zwischen Tagebauten und Kraftwerken aufgewachsen, da gab es nur wenige Argumente gegen ausgiebiges Lesen, um der Tristesse zu entkommen. Dann ging es nach Aachen, später nach Köln, dann nach Göttingen und nun lebe ich in Berlin und arbeite als Buchhersteller. Nebenbei spiele ich noch in Bands, meine zweite Leidenschaft ist ganz klar die Musik! Oder doch Kochen und Essen? Schwer zu sagen.

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